Berliner Szenen: Gnocchi an Smartphone
Eifersucht
Die Kneipe war eine Verlegenheitslösung, weil wir dieses Da-musst-du-unbedingt-Ceviche-essen-Restaurant nicht gefunden hatten und uns in der Oranienstraße der Hunger überfiel wie ein Keulen schwingender Wegelagerer. Meine Begleitung war Ende dreißig, Regisseur aus einem südeuropäischen Krisenstaat. Er hatte die letzten Tage intensiv in Berlin recherchiert. Ein, zwei Termine am Tag, man muss den richtigen Moment abpassen, erklärte er mir.
Es ging um Einwanderergeschichten: Was Europa ausmacht, heute. Eine große Montage auf der Bühne schwebe ihm vor, am Besten von Laien gespielt, echte Menschen, keine Schauspieler, sagte er, Schauspieler interpretieren doch immer – die berühmte Repräsentationsfalle. Doch da kam der Kellner auch schon mit den Bieren. Ach, ich nehme die Gnocchi, sagte mein Regie-Freund schließlich, ich wie eine selbst fahrende U-Bahn: die Hühnchenbrust, bitte.
Dann sagte er: Du, ich muss mal antworten, und beugte sich über sein Smartphone. Ich nahm bald das in einer pappigen Zitronensoße versunkene Geflügel entgegen. So lustlos wie sein Leben mag auch seine Zubereitung gewesen sein, dachte ich. Dann war er wieder bei mir. Entschuldigung, aber ich musste, was klären. Sie wollte nicht mit nach Berlin, und jetzt ist sie eifersüchtig. Aber okay. Weißt du, sagte er, ich treffe mich manchmal mit anderen, es gibt da eine Handtaschendesignerin, eine Ingenieurin, eine Bühnenbildnerin – alles: nur keine Schauspielerinnen!
Und wie ist es bei ihr, fragte ich ketzerisch, trifft sie sich auch … mit anderen? Weiß ich nicht … sagte er, den Mund kaum öffnend und jede einzelne Silbe betonend. Er spießte ein Gnoccho auf, kaute sehr lange darauf herum, sagte dann: Auf sexuellen Ebene passt es eh nicht so gut – es ist, als ob wir verheiratet wären. Sind wir aber nicht!
Timo Berger
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