Berliner Szenen: Minicomputer
Ohren altern
Im Hörakustikerladen HRK Hörgeräte in Spandau ist alles in schlichten Grautönen gehalten. An den Wänden hängen gerahmte Fotos des verhüllten Reichstags. Die Hörakustikerin, eine Frau Anfang vierzig, bittet mit kräftigem Händedruck nach hinten in die Testkabine, einen weitestgehend schallisolierten Raum, in dem mit einem Audiometer mit integrierter Messbox gemessen wird, in welcher Geschwindigkeit Töne wahrgenommen werden.
Die Hörakustikerin zeigt mir die Computerauswertung meiner Reaktionsgeschwindigkeit: Ich bin erst Anfang dreißig und habe bereits an Hörvermögen eingebüßt. „Früher viel Walkman gehört, was?“, fragt sie. Ich schüttle den Kopf. Die Hörakustikerin zuckt mit den Schultern: „Unsere Kunden werden immer jünger. Früher dachte man noch, Hörprobleme kämen im Alter, und schlecht zu hören bedeute, leise zu hören.“
„Was bedeutet Hörschwäche sonst?“, frage ich. „Nur noch Teilsilben zu verstehen. Das heißt, dass von dem Gesagten anderer nur Teile ankommen. Das ist, als wäre man in China oder einem anderen Land, dessen Sprache man nicht beherrscht“, erklärt sie. „Wenn das Gegenüber dann lauter spricht, ist es so, als würde man auf Chinesisch angeschrien.“
Sie betrachtet die Ergebnisse meines Hörtests. „Noch brauchen Sie keine Hilfe“, sagt sie und deutet auf ein hautfarbenes 3-Millimeter-Modell: „Wenn es aber so weit ist, können Sie beruhigt sein: Wir haben richtige Mini-Computer fürs Ohr. Die können sich sogar über Bluetooth mit dem Fernseher synchronisieren und zum Kopfhörerersatz werden. Gerade ältere Kunden wissen das zu schätzen. Die sind viel technikaffiner, als man denkt. Wenn ich hier einen Termin mit Kunden vereinbare, gibt es nicht wenige 90-Jährige, die ihr iPhone zücken, um in ihren digitalen Kalender zu gucken.“ Eva-Lena Lörzer
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