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Berliner SzenenRigaer Straße

Sammelalbum hilft

Es liegt was in der Luft. Daran hatte ich nicht gedacht

„Ich kauf dir noch ein Eis!“, schlage ich Max vor, weil bis zum Beginn der Musikschule noch 30 Minuten verbleiben. Wir laufen die Liebigstraße ­hinab. Von der Rigaer dröhnt uns Musik entgegen. Seltsam, die Fête de la Musique ist doch schon lange vorbei.

„Jetzt schlag doch mal dein Fußballheft zu!“, ermahne ich meinen Sohn. Seit Wochen starrt er nur noch in sein blödes DFB-Sammelalbum. „Immer meckerst du“, beschwert er sich. „Ich möchte nur nicht, dass du hinfällst und dir wehtust.“

Rechts und links von der Bäckerei 2000 erkenne ich Einsatzwagen. Polizisten in Wartestellung. Vor der Bäckerei kauern Sympathisanten der Rigaer 94 auf dem Boden. Es liegt was in der Luft. Daran hatte ich nicht gedacht.

„Ich möchte, dass du dein Heft zumachst!“, herrsche ich Max an, nehme ihn bei der Hand und ziehe ihn über die Straße. Die Musik kommt aus einem Rekorder, neben dem ein Punk sitzt. Jetzt erahnt man auch den Text. Es geht um Bullen und Schweine. Zum Glück weint Max und bekommt von alldem nichts mit. In der Bäckerei beruhigt er sich wieder, nachdem er angefangen hat, an seinem Twister zu lutschen. Was mache ich, wenn wir das Geschäft verlassen? Wird er schwierige Fragen stellen: Warum sitzen hier Leute auf dem Weg? Warum sind hier die so viele Polizisten? Was singen die denn? Mir fallen nur Antworten ein, die ihn überfordern würden.

Soll ich ihn noch mal anschreien, damit er mit sich beschäftigt ist, sobald wir auf die Straße treten? Mir kommt eine andere Idee. „Zeig mir noch mal, welche Glitzis dir noch fehlen“, bitte ich ihn, als ich die Tür öffne. Er schlägt sein Heft auf. Bis wir die Musikschule erreichen, bekommt er von der Außenwelt nichts mehr mit. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Sammelalbum noch mal zu etwas gut ist. Stephan Serin

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