Berliner Szenen: Großeinsatz beim Grillen
Die Krähe
Grillfest beim Bruder im Hof. Die Würste brutzeln, das Bier fließt, die Kinder spielen. Plötzlich wandern die Blicke nach oben: Eine Krähe hat sich mit einem Flügel in ihrem Nest verfangen, ein tragisch-grotesker Anblick. Allgemeine Ratlosigkeit, was tun? Während die einen behaupten, Mutter Natur werde die Sache schon richten, setzt sich letztendlich die Haltung durch, das Tier müsse gerettet werden. Jemand ruft die Feuerwehr.
Inzwischen stehen alle bedröppelt herum, auch die Kinder. Sämtliche Unterhaltungen sind versiegt, die Würste verbrutzeln. Schließlich rücken sie an: vier Mann plus Leiter. Diese wird ausgefahren, ein Feuerwehrmann in voller Montur steigt nach oben, greift nach dem Vogel, und für einen Moment scheint alles gut. Dann fällt die Krähe wie ein Stein nach unten, trifft dabei beinahe meinen Bruder, schlägt auf, bewegt sich nicht. Ein Augenblick der Stille, dann wird gepöbelt: Wie könne man nur so blöd sein?
Schweigend fahren die Feuerwehrleute die Leiter wieder ein, holen eine Kiste, um die tote Krähe hineinzulegen, wollen sie mitnehmen, als plötzlich die Kinder und ein paar Erwachsene protestieren. Irgendwie erscheint ihnen dieses Vorgehen pietätlos. Man einigt sich darauf, den Vogel hier zu lassen, damit die Kinder ihn in Würde begraben können. Mit gesenkten Blicken ziehen die Feuerwehrmänner von dannen.
Am nächsten Morgen wird die Krähe wieder ausgebuddelt: Statt der vorgegebenen achtzig Zentimeter lag sie nur knapp zehn unter der Erde. Man befürchtet, sie könne Getier anlocken. Und für eine Sekunde muss ich daran denken, wie ich mir als Jugendlicher „Friedhof der Kuscheltiere“ im Kino ansehen wollte und mir, um älter zu erscheinen, vor dem Ticketschalter eine Plastikzigarette mit Kunstglut in den Mundwinkel steckte. Andreas Resch
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