Berliner Szenen: Ich bin ganz ruhig
Nichts kann stören
Zuerst sah ich sie am Pariser Platz auf einer kleinen Protestkundgebung. Menschen mit Schildern, auf denen „Ich bin ganz ruhig“ und auf der Rückseite „Nichts kann mich stören“ stand.
Später sah ich sie am Alexanderplatz Flyer verteilen. Auf denen wieder genau diese zwei Sätze standen. Aus einem Haus in dem Teil von Mitte, der irgendwie schon fast Kreuzberg ist, hingen Laken damit.
Aber gerade als ich dachte, ich hätte verstanden, worum es geht, tauchten sie an unvermuteten Stellen auf: auf der Anzeigetafel im Olympiastadion. Als Werbebotschaft, die von Doppeldeckern hoch über den Wannsee gezogen wurden. Ich sah ein Paar im Pärchenlook, das diese Sätze auf weißen T-Shirts trug (ebenso am Wannsee). Ich sah Busse der BVG, die sie als Werbeaufschrift an den Seiten trugen, ich sah sie auf der Karosserie von Taxen oder Pflegedienstwagen, ich erkannte die Sätze als Schrifttafeln, die in Sendepausen gezeigt wurden.
Ein junger Mann hatte den Satz „Ich bin ganz ruhig“ auf seinen Oberarm tätowiert. Eine Frau trug den Satz „Nichts kann mich stören“ knapp über ihrem Venushügel. Die U7 fuhr laut Anzeigetafel zum ersten Satz, laut Waggonanzeige allerdings zum zweiten. Eine Jenny-Holzer-Leuchtschrift über einem Stripteaselokal in der Urbanstraße wurde auf diese beiden Sätze umgestellt. Schallplattenhüllen, Wurfsendungen, Klingelschilder: überall plötzlich „Ich bin ganz ruhig“ und „Nichts kann mich stören“.
Dann schlief ich endlich wieder ein. Als ich wach wurde, konnte ich mich erinnern: Ich hatte nach „autogenem Training“ recherchiert. In einem ersten Schritt sollte man sich die Sätze „Ich bin ganz ruhig“ und „Nichts kann mich stören“ als indirekte Aufforderungen vorstellen. Also stellte ich mir diese Sätze als Demoschilder vor.
Dauerte ein wenig, aber schien zu helfen. René Hamann
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