Berliner Szenen: In der Kneipe
Alter Bildungskanon
Es ist kein Problem, dass ich kein Geld habe und am Tresen stehe und darüber nachdenke, dass die Leute bestimmt denken, ich würde ständig in der Kneipe sein, weil ich oft darüber schreibe.
Dabei bin ich höchstens einen Abend pro Woche hier. Manchmal Sonntag, manchmal Montag. Der Schriftsteller mit dem Mondgesicht steht neben mir am Tresen. Wie fast immer.
Er spendiert Bier und Korn und erzählt Räuberpistolen. Wie er neulich A. getroffen hatte, mit dem er früher Drogengeschäfte gemacht hatte. Oder wie er einmal vor 30 Jahren an der Grenze ein Kilo Kokain aus dem Auto geworfen hatte, weil er es plötzlich mit der Angst zu tun bekam. Wir reden über die umherschweifenden Haschrebellen und die Bewegung 2. Juni, den Bildungskanon meiner Generation. Ich erzähle, wie ich vor 20 Jahren ein Jahr mit Bommi Baumannn zusammengearbeitet hatte und wie der berühmte ehemalige Haschrebell mich dann entlassen hatte wegen Unfähigkeit, und wie ein Facebookfreund nach den Brüsseler Anschlägen gepostet hatte, „die westlichen Werte, Freiheit, Recht, Wohlstand, Sex und Drogen werden sich durchsetzen, weil sie dem Wesen des Menschen am nächsten kommen“.
Leider kifft der Schriftsteller mit dem Mondgesicht nicht mehr. Dafür ich. Wir trinken noch ein Bier. Der Saxofonist, ein guter Typ mit langen Haaren und Lederjacke, steht am Rande. Dass er ein Tattoo auf dem Arm hat, fällt mir jetzt erst auf, nach Jahren. Ein paar Minuten fühle ich mich enthusiastisch und sage, wie toll es doch ist, dicht zu sein. Der Dichter versteht das nicht akustisch, ich wiederhole. Nach einem weiteren Korn klingt der Enthusiasmus wieder ab, und ich stehe später bei A. und seinen Freunden vom Radio, in einer anderen Tresengegend. Er spielt ein altes Lied von Tyrannosaurus Rex und freut sich, dass ich Marc Bolan erkenne. Er raucht nur pur wegen dem Nikotin, ich umarme eine Frau, weitere Biers kommen des Wegs. Und ein Pfiff dann zum Abschied.Detlef Kuhlbrodt
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