Berliner Szenen: In der U-Bahn
I am Karim
Der Mann kann die Beine nicht still halten. Die Knie schlagen im regelmäßigen Takt aneinander, der schmale U-Bahn-Sitz ist fast zu klein für seine Bewegungen.
Schon berühren seine Beine meine Tasche. Ich nehme sie hoch und schaue ihn an, ein wenig genervt – warum muss der so zappeln?
„Sorry“, sagt er da, „I am so sorry.“ „It’s o. k.“, sage ich. Dann verändert sich sein Gesicht. Verzerrt sich, wie zum Weinen. Er dreht sich zum Fenster. In einer schnellen Handbewegung streicht er sich über die Augen, kneift sie zusammen.
„Are you o. k.?“, frage ich erschrocken. Schlechtes Gewissen über mein Genervtsein. „Yes“, sagt er. Dann eine Weile Schweigen, ich blicke in seine Augen. In meinem Kopf rattert es: Sehen sie traurig aus? Müde? Verängstigt? Soll ich ihm Hilfe anbieten, etwas sagen?
„I am Karim. From Syria“, stellt er sich plötzlich vor. Ganz leise, ich muss nachfragen. „I am Karim, from Syria“, wiederholt er etwas lauter und versucht ein Lächeln. Gerade kann ich ihm noch meinen Namen nennen, da hält der Zug. Nauener Platz. Ich muss aussteigen.
„I have to get off here“, sage ich. „Good luck“, schiebe ich noch im Aufstehen hinterher, etwas anderes fällt mir nicht ein. Er nickt, die Türen gehen auf und wieder zu. Er fährt weiter. Wohin? Und woher kommt er? Hat er den ganzen Tag vorm Lageso angestanden? Ist er alleine in Deutschland?
Ich stehe noch eine Weile am Bahnhof. Blicke unentschlossen der U-Bahn hinterher. Denke „Hätte“-Gedanken. Ich hätte ihn fragen sollen, ob ich ihm helfen kann. Ich hätte ihm meine Nummer geben können. Weiter mit ihm fahren sollen, auf die zehn Minuten wäre es doch nicht angekommen. Bedrückt gehe ich nach Hause.
Das warme Abendessen wartet dort schon auf mich.
Kasimir Wald
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