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Berliner SzenenTagesschau

Köpfe schütteln

„Heute war kein guter Tag“, erklärt meine Mutter

Die ersten Tage des neuen Jahres sind um – und bislang klappt es einwandfrei mit meinem guten Vorsatz, mich nicht mehr alle drei oder vier Tage bei meiner Mutter zu melden, sondern ab sofort jeden Tag.

Aber, wie immer, erst um 20.15 Uhr, denn das sind alle in der Familie so gewohnt: Im letzten Jahr ist mein Vater verstorben, und er war ein „Tagesschau“-Gucker vom alten Schlag.

Man durfte ihn niemals in dieser heiligen Zeit – acht bis Viertel nach acht – mit einem Anruf belästigen. Danach schon.

Und so war das dann oft: Um 20.16 Uhr hat bei meinen Eltern das Telefon geklingelt, und ich habe nach dem Rechten gefragt.

So mache ich das auch heute Abend, als dieses neue Jahr noch so frisch ist und alle irgendwie noch am Sichsortieren sind. „Heute war kein guter Tag“, erklärt meine Mutter und schnieft so eine Traurigkeit durch die Leitung.

Sie hat früher nie „Tagesschau“ mitgeguckt, sondern sich immer erst dann, als das Wetter kam, dazugesetzt aufs Sofa.

Aber jetzt, seit mein Vater nicht mehr da ist, sieht sie sich täglich die kompletten Nachrichten an. Wahrscheinlich weil es ihr emotional viel bedeutet, diese Tradition aufrechtzuerhalten.

Als ich sie heute um 20.16 Uhr an der Strippe habe, merke ich, dass sie damit wieder mal nicht recht klarkommt. Mit dem Nachrichtendurcheinander, so ganz allein auf dem Sofa.

„Da ist halt niemand“, sagt sie, „der mit mir zusammen den Kopf schüttelt, wenn die so schlimme Meldungen bringen.“

Auch wenn sie es nicht sieht und hört: Drei-, viermal nacheinander schüttle ich ihr zuliebe den Kopf. Und als sie mir schließlich noch die Werte ihrer letzten Blutdruckmessung durchgibt, hänge ich direkt noch einen großen Seufzer hintendran. Jochen Weeber

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