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Berliner SzenenJahresrückschau

Visconti in Kladow

153 Mal Motherfucker in einer halben ­Stunde, nicht schlecht

Manchmal bleiben einem Fahrten mit Berliner Verkehrsmitteln nachhaltig in Erinnerung. In diesem Fall hat sich eine zu Wasser, die andere zu Lande zugetragen. Erstere ist ziemlich theatralisch; ich kann sie zur Nachahmung empfehlen, sofern eingefleischte Fans des italienischen Filmregisseurs Luchino Visconti, wie ich eine bin, mit dem Wannsee statt Venedig vorlieb nehmen.

Eines Sonntags Ende Mai steige ich mit dem Fahrrad auf die Fähre von Wannsee nach Kladow. Sobald sie ablegt, starte ich auf dem Discman das Adagietto von Gustav Mahler aus der Symphonie Nr. 5. Und bin selbstredend mittendrin in der Eröffnungssequenz des Films „Tod in Venedig“. Nur, dass hier nicht die Lagunenstadt vorbeizieht, sondern das Freibad Wannsee, diese mir unbegreifliche, fast erhabene Architektur. Das Musikstück läuft knapp zwei Mal auf der Strecke von 20 Minuten, genug um ein temporäres inneres Elend wenigstens stilvoll zu untermalen.

Einen Monat später verlaufen sich ein Musiker und ich nach einem Konzert bei einem überaus anregenden Gespräch über Improvisation in Weißensee, ehe ich an der Prenzlauer Allee die Ringbahn nehme. Ich verteile mich über zwei Plätze und höre bis zum S-Bahnhof Schöneberg einen Song in Dauerschleife. Mit „Sexy MF“ von Prince kann mir das nächtliche Partyvolk vollkommen egal sein. Aus einer unerfindlichen Laune heraus habe ich an einem der folgenden Abende gezählt, wie oft die Worte „Sexy Motherfucker“ von Prince und den Rappern im Song eigentlich erklingen, darüber existiert eine Strichliste. Diese habe ich nun erneut nachgeprüft, hier das Endergebnis: Binnen einer halben Stunde Fahrt habe ich einhundertdreiundfünfzig Mal Motherfucker gehört und lautlos mitgesungen. Das soll mir erst einmal jemand nachmachen.

Franziska Buhre

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