Berliner Szenen: Friendsgiving
LSD in kleinen Dosen
Irgendwann in Candys Küche wurde die Idee des Friendsgiving geboren. Fanden die nach Art des Potlatch-Festes abgehaltenen Abende zuerst in der kleinen Wohnung in der Torstraße statt, musste bald schon Platz für 40 Gäste her. An der langen Tafel in Jans Loft in der Köpi ist sogar noch Raum für einen 8-Kilo-Truthahn und eine Menge Schüsseln und Platten mit Süßkartoffelauflauf, Rotkraut, Cranberry-Pie und Marshmallowsalat. Statt Geschenken machen Beilagen die Runde – oder Hochprozentiges. Ein Riesengelage.
Nachdem alles pappsatt auf die Sofas und Sessel drängt, auf den Balkon zur Verdauungszigarette oder auf einen der Teppiche, die Jan von seinen Reisen mitbringt, sitzen wir also da und reden. LSD in regelmäßigen kleinen Dosen lautet Allys Rezept für eine ausgeglichene Psyche, Carolina bevorzugt Pferde, isländische vor allem, während Joe auf Scotch setzt und Emily aus exakt dem gleichen Grund nicht mehr eingeladen wird. Ausfälle gegen die Gastgeber sind unbedingt zu vermeiden. Auch nach dem siebten Aquavit und dem zweiten Joint sollte jeder sich unter Kontrolle haben, wir sind schließlich keine dreißig mehr.
Apropos, Jesper trinkt heute nur Wasser wegen des Hystaminhaushalts, Susanne plagt seit Wochen die Grippe, und Kristin hat sich, in eine Decke gehüllt, unter einer Pflanze namens Monstera deliciosa schlafen gelegt. Es sieht aus, als wollte sie nie wieder aufstehen. Nach dem Kaffee belebt sich aber alles noch einmal zur Stunde der steilen Thesen und vorletzten Sätze. Wie wäre es, einen Film über weibliche Zombies im Kampf gegen eine postapokalyptische Natur zu realisieren? Ist Knausgård nun coole Sau oder Schizotyp oder beides? Ivan hat alle sechs Romane gelesen. Um seine Meinung gebeten, winkt er jedoch ab. Alles liege ohnehin auf der Hand, sagt er. Sascha Josuweit
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen