Berliner Szenen: Vor meinem Fenster
Abbey Road, Beatles
Bei mir um die Ecke wird gebaut. Seitdem ich weiß, was, bin ich dagegen: ein Fußgängerüberweg. Ich hab nichts gegen Fußgängerüberwege; ich find’s eigentlich toll, mich da hinzustellen, zu sehen, wie die Autos anhalten und so, und jedes Mal denk ich an meine Freundin aus Frankreich, die’nen Lachanfall kriegte und deswegen das immer wieder probieren wollte.
„Die halten an!“, schrie sie, vollkommen begeistert.
„Tun sie“, sagte ich, und das tun sie immer noch, die Autos, deswegen sind Fußgängerüberwege echt cool. Trotzdem. Ich will den neuen nicht aus einem egoistischen Grund: Er soll dem Zebrastreifen direkt bei mir vorm Fenster keine Konkurrenz machen. Denn auf dem Zebrastreifen direkt bei mir ist immer was los, und wenn da dann einer’ne Ecke weiter ist, passieren die spannenden Sachen vielleicht alle dort. Und ich hätte Langeweile.
Da kommt schon wieder ein Paar, zwei Frauen diesmal. Sie schauen sich um, ob keiner sie sieht, dann legen sie los. Abbey Road, Beatles, riesige Schritte über die Streifen, danach ein Rap, fast schon mit Breakdance-Einlage. Cool. Davor waren’s zwei Jungs, besoffen, aber unterhaltsam, sie grölten in ihre Handys hinein. Und wenn sie das schon an dem anderen, neuen Fußübergangsweg gemacht hätten, hätt’ ich die Show verpasst.
Ich schau den Frauen weiter zu, schau, wie sie stehen, jetzt ’nen Fuß auf dem ersten Zebrastreifen, weil ein Auto kommt, und sie wollen, dass es anhält, vor ihnen, wartet, eine Minute, zwei, sogar drei, während sie die Straße überqueren, Schildkrötentempo. Ganz ernst tun sie das, und erst als sie drüben sind und das Auto weitergefahren ist, lachen sie los, zeigen mit den Fingern. „Du, der hat angehalten!“ – „Und wie! Ewig!“
Cool, so ein Fußgängerüberweg, da stimm’ ich voll zu. Nur bitte nicht so viele, wegen der Konkurrenz. Joey Juschka
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