Berliner Szenen: Herbstliches
Blattbootrennen
Ich sitze dort, wo früher mal der Landwehrkanal an die DDR grenzte. Die Sonne scheint. Kein Hund kläfft, kein Mensch fühlt sich gemüßigt, Musik zu machen, keiner grölt beflascht vor sich hin, niemand will für seine Umwelt hörbar eine Beziehung beenden. So muss es in Arkadien zugehen. Güldenes Blattwerk tänzelt vom himmelblauen Himmel.
Doch halt! Was ist da unten auf dem Wasser los? Dunkel ist es, vom Winde bewegt. Ein Kastanienblatt – breit gefächert und braun geht es bräsig in Führung vor einem goldgelben Ahorn. Der allerdings kämpft mit einem unzuverlässigen Beiboot in Form eines zitronengelben Lindenblatts und fällt hinter einem aufholenden, sehr kräftigen Eichenblatt zurück.
Aha, jetzt wird also auch das kurze Eichenblatt gekapert: Gleich drei schrumpelig gerollte Blättchen einer Trauerweide docken an. Alarm, Alarm! Eichenblatt sinkt. Trauerweideblättchen ganz flatterig, unterstützt vom Wind segeln sie schlingernd dicht an das Kastanienblatt heran. Jedoch was macht die Kastanie? Sie nimmt das Blatt der klapprigen Trauerweiden huckepack!
Liebe Leserschaft, wo wird uns diesen Herbst das Blattbootthema noch hinführen? Oder andersherum: Blattboote im Rennen – warum ist da noch niemand auf eine Eventidee gekommen? Mit Ü-Wagen am entblätterten Ufer und Extrablatt auf Twitter, mit Blattgold als erstem Preis und Sepp Blatter als Präsident aller Blattboote. Endlich würde den Blättern des Herbstes gebührende Ehre zuteil. Nur in Arkadien wäre es dann vorbei mit der Ruhe, Remmidemmi die Konsequenz, käme es zu Blattbootrennen auf dem Landwehrkanal.
Doch ist diese Idee schlicht genial. Und anschließend kommt sie ja auch, die stille Zeit. Obwohl? Still? Niemals. Aber das ist eine andere Geschichte. Harriet Wolff
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