Berliner Szenen: Sperrmüll durchwühlen
Gehört der Stadt
„Joey, das darfst du nicht mitnehmen!“, sagt meine Bekannte, wieder mal auf Berlinbesuch.
„Häh?“, sag ich.
„Das gehört der Stadt“, sagt sie und guckt ganz entrüstet.
Ich gucke belämmert, erstaunt, verblüfft, alles zugleich. Denn früher sind wir zu zweit losgezogen, meine Bekannte und ich, und ein dritter Freund noch dazu, haben Sperrmüll durchwühlt, ganze Küchen komplett auf Schubkarren nach Hause gekarrt, und das hier vor uns jetzt ist nur’n einzelner Stuhl, und bei dem ist auch noch die Lehne kaputt. Den will bestimmt keiner außer mir jetzt. Und überhaupt: Was ist los mit meiner Bekannten? Seit wann ist sie der Meinung, man darf sich von Sperrmüll am Straßenrand nicht bedienen? Und was hat sie noch mal gesagt, von wegen das gehört der Stadt?
„Häh?“, mach ich noch mal. „Doch“, sagt sie und nickt. „Sobald es auf der Straße steht, gehört es der Stadt.“
Kann schon sein, denke ich, aber das erklärt nicht, warum sie das so betont. Früher hat sie doch auch . . . „Ich war letzte Woche mit’nem Kollegen unterwegs“, erklärt sie da schon. „Und ich wollte’nen Tisch mitnehmen. Na ja, erst mal angucken, vielleicht gar nicht mitnehmen. Und da hat er das gesagt.“
„Ja und?“
„Die sind da so, da, wo ich wohne.“ Sie klingt verteidigend. „Die denken wirklich, dass das ’ne Straftat ist. Und das gehört ja auch der Stadt, sobald’s auf der Straße steht. Weil die Straßen . . . „Ja“, unterbreche ich. „Aber hier kümmert’s keinen.“ „Nee“, sagt sie, und jetzt klingt sie wieder normal. „Und mich ja auch nicht, eigentlich.“
„Und warum sagst du mir das dann alles?“ Ich schnaufe. „Du musst da dringend weg, von solchen Kollegen.“ „Ja“, sagt sie, und dann gehen wir weiter, ich mit Stuhl, sie ohne, und ich hoffe, dass sie hierher nach Berlin zieht, so wie sie’s vorhat, bevor es zu spät ist und sie auf Dauer so wird, wie die da unten, wo sie grad wohnt. Joey Juschka
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