piwik no script img

Berliner SzenenPreußin am Berge

Urlaubsleid

Er sei nur froh, sagte er, dass es in Berlin keine Berge gebe

Ich saß abends mit einem Freund im Biergarten des Prater. Er war vor zwei Tagen aus dem Urlaub zurückgekehrt, den er mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Südtirol verbracht hatte. Ich fragte ihn, ob er sich erholt habe, woraufhin ein nicht enden wollender Monolog einsetzte. Nie wieder fahre er mit seiner Familie in die Berge, sagte er. Er käme ja aus Bayern und seine Frau stamme ja, wie ich bereits wisse, aus Ostberlin. Diese Flachlandherkunft habe seine Frau, sagte er, jedoch nicht davon abgehalten, eine „Preußin am Berge“ zu sein.

So habe er zum Beispiel vor einem Wetterumschwung am Nachmittag gewarnt, woraufhin ihn seine Frau bei strahlendem Sonnenschein ausgelacht habe. Natürlich sei dann der Wetterumschwung gekommen, fürchterlich habe es gedonnert und geregnet und sie hätten einfach nur Glück gehabt, im allerletzten Moment eine Scheune zu finden. Ein andermal, fuhr er fort, habe er davor gewarnt, dass dieser Berg zu hoch für seine kleine Tochter sei. Seine Frau – diese protestantische Flachland-Preußin, die die Berge bis vor Kurzem nur vom Hörensagen kannte – habe jedoch seine Bedenken lediglich mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite gewischt und gemeint, dass man die Tochter dann eben tragen müsse. Und natürlich sei er es dann gewesen, sagte mein Freund, der seine schlappgemachte Tochter bei sengender Hitze den Berg hinauf- und wieder hinabgetragen habe. Immer noch habe er wegen dieser unglückseligen Aktion erhebliche Rückenschmerzen.

Tag für Tag habe seine Frau, die in Berlin ja eine ganz vernünftige Person sei, ihm den Urlaub in den Bergen zur Hölle gemacht. Er sei nur froh, dass es in Berlin keine Berge gebe, denn wenn es in Berlin Berge geben würde, sagte mein Freund, wäre seine Beziehung ein für alle Mal ruiniert und gescheitert.

Alem Grabovac

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen