piwik no script img

Berliner SzenenErholsame Narkose

Malzbonbon

Ihr Mann steht neben mir. Er sieht aus wie ein Bollywoodstar

Es ist ein schöner Sommertag. Die Sonne scheint, es ist heiß. Ich fahre mit dem Fahrrad zur Praxis. In der Praxis ist es angenehm kühl. Das Fachpersonal ist sympathisch. Die Stimmung ist verhalten entspannt. Die Darmspiegelung selber kein Ding. Eben wollte ich dem Arzt noch erklären, was ich für Texte schreibe, schon bin ich wieder wach und werde in ein Ruhezimmer zu einer Liege geführt und döse eine Weile vor mich hin. Eine Frau, Mitte vierzig, sitzt auf der mir benachbarten Liege. Sie ist, glaube ich, Mexikanerin.

Als ich merke, dass ich nicht mehr einschlafen kann, setze ich mich auch hin und will aufstehen. Ich sage, es ist so schön still und kühl hier, viel angenehmer als in meiner Wohnung. Ich wohne nämlich in einer 1-Zimmer-Wohnung direkt unter dem Dach, und da ist es ganz schön warm, sage ich zu ihr, während ich schon dabei bin, wieder aufzustehen. Sie mahnt mich, auf der Liege zu bleiben. Ich bin tatsächlich noch leicht benommen, obwohl ich mich eigentlich sehr okay fühle. So tief und erholsam hatte ich seit Langem nicht mehr geschlafen. Die „Mexikanerin“ bietet mir einen Malzbonbon an. Der Malzbonbon schmeckt prima. Es ist schön, am Nachmittag auf einer Patientenliege zu sitzen, aus dem Fenster zu gucken und Malzbonbons zu lutschen.

Ab und an wird der nächste noch halb benommene Patient hereingeführt und legt sich hin, und die anderen Patienten rücken eine Liege weiter. Irgendwann sind die „Mexikanerin“ und ich die Raumältesten. Ihr Mann steht neben ihr. Er sieht aus wie ein Bollywoodstar. Sie stellt mich mit Gesten vor. Und später sagt der nette Arzt, er hätte nur erfreuliche Nachrichten. Mit dem Darm sei alles in Ordnung. Ich bin erfreut wie über ein Kompliment, aber auch enttäuscht, dass immer noch nichts Richtiges gefunden wurde. Woran man hätte arbeiten können. Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen