Berliner Szenen: Im SoleBecken
Nackte Senioren
Das letzte Mal war ich vor 20 Jahren im Europa-Center, um mir in einem der dort befindlichen Geschäfte, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, einen Hoodie zu kaufen, wozu wir damals noch Kapuzenpulli sagten. Danach erlosch mein Interesse am alten Westberlin.
20 Jahre sind eine lange Zeit. Darum kann ich auch nicht einschätzen, was sich hier eigentlich seitdem verändert hat. Eins weiß ich immerhin noch. Die Thermen habe ich dort in meiner Jugend nicht besucht.
Jetzt, wo ich diese Phase lange hinter mir habe, wage ich es seltsamerweise wieder, mich vor anderen nackt zu zeigen. Komisch. Besser als früher sehe ich schließlich nicht aus. Aber Sauna ist Sauna, und dort gibt es Vorschriften. Was soll man machen, wenn man der Freundin den gemeinsamen Nachmittag versprochen hat? Bleibt mir nur, mich ins Handtuch zu wickeln.
Im großen Solebecken zwischen den Schwitzbereichen lässt sich die FKK-Frage weniger eindeutig beantworten. Die älteren Semester aalen sich, wie Gott sie schuf, besser: wie er sie mit 50 aufwärts vorgesehen hatte, im warmen Wasser. Sie scheinen froh über jeden Blick, der auf ihnen ruht. Die jüngeren Besucher, fast nur Frauen, alle vielleicht Anfang 20, tragen Badebekleidung, um sich nicht enthüllt von den betagten Herren auf den Liegen begaffen zu lassen.
Ich zögere. Zu welcher Gruppe gehöre ich? Wenn ich die Badehose überziehe, wirke ich dann wie jemand, der die Augen davor verschließt, dass er nicht mehr 18 ist? Bin ich dann nicht genauso peinlich wie Nena, die versucht auszusehen wie ihre eigene Tochter? Aber wäre es nicht eine Kapitulation, blank zu bleiben und sich freiwillig dem Seniorenlager zuzuordnen? Was, wenn mich trotzdem niemand anglotzt? Melanie zieht sich was über. Meine Freundin scheint auch dem Jugendwahn verfallen zu sein. Ich bin trotzdem froh, dass sie mir die Entscheidung abnimmt. Stephan Serin
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