Berliner Szenen: Unter Zugzwang
Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.
Wann sollte dieser Flughafen eröffnet werden?“, frage ich Paul. Es ist Montagmorgen, 6 Uhr 21. Wir liegen im Bett und sind wach. Seit 22 Minuten. Der erste Flieger kam nämlich heute schon um 5.59 Uhr. Da war noch Nachtflugverbot! „Mai, glaub’ ich“, murmelt Paul. „Oder Juni? Ich weiß nicht mehr.“ Ein weiteres Flugzeug fliegt über unsere Köpfe. Es ist das zehnte heute Morgen.
Wir wohnen in einem unsanierten Altneubau in Pankow im obersten Stockwerk. Wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung weht, verläuft die Einflugschneise nach Tegel gefühlte drei Meter über unserem Schornstein. Ich wohne schon echt lange hier, und mich haben die Flugzeuge nie gestört. Aber seit dem Desaster mit Schönefeld sind es irgendwie dreimal so viele.
Außerdem wird direkt vor unserem Schlafzimmerfenster seit dem Sommer ein Haus gebaut. Viele neue Eigentumswohnungen. Morgens um sieben ist Baubeginn. Am liebsten mit Presslufthammer, damit wir alle was davon haben. Und dann fand unser Nachbar im Frühjahr auch noch eine neue Freundin. Eine mit einer sehr hohen, sehr lauten Stimme. Seitdem war auch unsere Restnachtruhe dahin. „Ich konnte um zwei wieder nicht einschlafen, weil die Nachbarn so laut Sex hatten“, sage ich morgens zu Paul. „O Mann, „ sagt Paul, „ich konnte um elf schon nicht einschlafen, weil die so laut Sex hatten.“ Man gerät ja auch unter Zugzwang.
Noch sind sie frisch verliebt, dachten wir, das vergeht Danach sinkt die Fickfrequenz, und wir sind die Sorge los. Falsch! Mit abnehmender Fickfrequenz stieg nämlich die Streitrate. Und streiten können die Nachbarn noch lauter und ausdauernder als vögeln.
„Wie es wohl sein wird, wenn keine Flugzeuge mehr über Pankow fliegen“, überlege ich laut, „und das Haus gegenüber fertig ist. Und die Nachbarn ziehen in eine Eigentumswohnung!“ – „Dann bist du endlich wieder die Lauteste hier“, murmelt Paul und schläft wieder ein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!