Berliner Szene: Ein Anderer werden
Vertrauen
Ich betrete den Streetcut-Salon in der Mittenwalder Straße. Viele Jahre hatte ich im Haus gegenüber gewohnt und kenne den dänischen Friseur und seine Freunde schon ziemlich lange. Ricki freut sich, dass ich komme. Wie immer schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen – „Wie siehst du denn aus?!“ Wir machen einen Termin, und dann kommt der Nachmittag der Verwandlung. Ich habe mir die Haare nicht gewaschen, weil meine Kopfhaut dauernd juckt, es ist kein Spaß. Er sieht meinen verschorften Kopf, wäscht mir die Haare, schneidet vorsichtig.
Wir sagen das, was wir immer sagen; dass ich es schöner finde, nur jedes halbe Jahr zu kommen als alle zwei Wochen (was natürlich auch schön wäre), weil es prima ist, danach ein anderer zu sein.
Er stimmt mir zu und sagt, dass ich auch schon mal schlimmer ausgesehen hätte. Er fragt, wie ich es gern hätte, ich sage, das weißt du doch am besten, ich vertraue dir ganz. „Aber den Nacken nicht ausrasieren“, sagt er, und ich bestätige; ja, den Nacken nicht ausrasieren.
Während er schweigend arbeitet, reden seine Freunde übers Trinken und darüber, dass man besser einen 20 Euro teuren Wodka kaufen sollte. Wegen der Kopfschmerzen.
Ich fühl mich auf dem alten Frisierstuhl total heimisch und schlafe fast ein. Morgens um sieben hatten mich schon die Handwerker, die meine Nachbarwohnung renovieren, aus dem Bett geholt. Sie kommen aus Polen, sind sehr nett und wünschen mir immer einen guten Tag. Es wäre schön, wenn sie neben mir einziehen würden.
Ein paar Stunden später, nach Feierabend, sehe ich Ricki und seine Freunde auf der Straße, sie unterhalten sich fröhlich. Er ruft mir lachend zu, nun siehst du auch wieder wie ein Mensch aus und ich antworte, ich hab ja auch so einen tollen Friseur.
Detlef Kuhlbrodt
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