Berliner Szene: Unterkunft
Kälte getrotzt
Sie waren schon da, als es noch ganz kalt war. Februar etwa. Im Vorbau eines seit Jahren nicht mehr genutzten Kiosks hatten sich die beiden Wohnungslosen eingerichtet. Dort trotzten sie einem Schneesturm, zweistelligen Minusgraden, Starkregenfällen und diesem eisigen Wind, der durch die Stadt fegte. Häufig schliefen sie tagsüber und waren nachts wach, wahrscheinlich angesichts der Temperaturen die beste Entscheidung.
Gekommen war sie mit wenig. Zwei Schlafsäcke, die sie auch tagsüber nicht verließen, Tassen. Später kamen Matratzen dazu, ein Buch, vor allem bei Tageslicht in Benutzung, zeitweise ein Radio oder Ähnliches, aus dem Musik quer über die Straße quäkte. Wer nachfragte, ob sie etwas vom nahegelegenen Supermarkt brauchen würden, bekam meist „Klopapier“ zur Antwort. Oder Bier. Die leeren Flaschen gaben sie in kurzen Abständen dort wieder ab, die Kassierer ließen sie vor.
Langsam ging die Kälte zurück. Die Temperaturen reichten nun aus, um tagsüber nicht mehr im Schlafsack sitzen zu müssen, manchmal waren sie jetzt auch vor dem Kiosk-Vorbau zu sehen. Dann wurde es Frühling, und das Grünflächenamt kam. Oder vermutlich eher eine vom Grünflächenamt beauftragte Firma, die sich an das Aufräumen der umliegenden Ansammlung von Bäumen machte.
Zwei Tage später waren die beiden Wohnungslosen weg, samt allem. Kurz tauchte, warum auch immer, ein beißender Uringeruch auf, doch auch der war wenige Tage später verschwunden. Dann nochmal ein Mensch mit Schlafsack, diesmal alleine.
Jetzt haben sie den Kiosk abgerissen. Ein paar Tage war rot-weißes Flatterband um das Fundament gespannt, dann wurden auch die Reste abtransportiert. Als wäre nie etwas gewesen. Svenja Bergt
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