"Berliner Rede": Faire Welt à la Köhler
Nachdem er zuletzt manche irritiert hatte, kehrt der Bundespräsident wieder auf den Weg des Ausgleichs zurück. Köhler forderte, die Lasten der Globalisierung gerecht zu verteilen.
Globalisierung war das Thema der zweiten "Berliner Rede" von Bundespräsident Horst Köhler, und dafür hatte er einen Schauplatz mit hoher Symbolkraft gewählt. Ein inzwischen zur Kulturinstitution umfunktioniertes Pumpwerk diente ihm als Rahmen - das "Radialsystem V", eine Kombination von denkmalgeschützter Bausubstanz und innovativer Technik, ein Ort, an dem Alt und Neu geradezu fließend ineinander übergehen.
Dass es in der weiten Welt heutzutage nicht ganz so geordnet und reibungslos zugeht, weiß auch der Bundespräsident. So fand sich in der überraschend nachdenklichen Rede Köhlers gleich zu Beginn ein Satz, der sich wie ein roter Faden durch die folgenden gut 50 Minuten ziehen sollte. Es gelte in der heutigen Zeit, "die Chancen und Lasten fair zu verteilen".
Und Fairness - das forderte der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowohl innerhalb Deutschlands, als auch im globalen Wettbewerb der Nationen. Es sei die entscheidende Aufgabe des 21. Jahrhunderts, die Globalisierung allen zu gute kommen zu lassen. Innerhalb Deutschlands diagnostizierte er eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Der wachsenden Einkommensschere müsse entgegengewirkt werden: "Der Aufstieg der Einen darf nicht der Abstieg der Anderen sein." Arbeitnehmer sollten deshalb stärker als bislang am Firmenkapital beteiligt werden. Das soziale Netz müsse auch in Zukunft unverschuldet in Not geratene auffangen: "Kein Zweifel: Es gibt soziale Härten. Doch der Sozialstaat hat Bestand." Und wie bereits in seiner letzten "Berliner Rede" mahnte Köhler, im Bildungsbereich müsse Deutschland im Vergleich mit andern Ländern Boden gut machen.
Mehrmals in seiner Rede unterstrich er die globale, insbesondere auch die europäische, Verantwortung gegenüber Entwicklungsländern. Niemand dürfe sich heutzutage in Fragen von Klima, Menschenrechten und Minderheiten aus dem glücklicherweise herrschenden Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und Abhängigkeit stehlen: "Das Zeitalter der Einseitigkeit ist vorbei", bekräftigte Köhler. "Keine Regierung wird mehr das Wohl ihre Volkes dauerhaft mehren können, ohne Rücksicht auf die anderen zu nehmen."
Rücksicht, das machte der Bundespräsident ebenfalls an mehreren Stellen deutlich, könne dabei nicht Zurückhaltung bedeuten. Vielmehr sieht Köhler in effektiver Entwicklungshilfe den Schlüssel für eine global gerechte Zukunft: "Wir brauchen eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten." Und das ginge eben nicht ohne selbstbeschränkende Maßnahmen im Wirtschafts- und Handelssystem: "Nichts würde den ärmeren Ländern der Welt rascher helfen als ein Ende der Doppelstandards in der Welthandelspolitik." Er kritisierte unter anderem die Zollpolitik und forderte einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrienationen. Zudem forderte Köhler stärkere Mitspracherechte der Schwellen- und Entwicklungsländer in internationalen Organisationen wie der Weltbank oder dem IWF.
Das waren dann aber auch die einzigen handfesten Forderungen. Köhlers zuletzt scharf kritisierten Dolchstöße in den Bereich der operativen Politik, in Regierungs- und Gesetzesvorhaben, blieben diesmal aus. Insbesondere mit Blick auf innenpolitische Richtungsentscheidungen übte er sich in überraschender Zurückhaltung. Köhler lobte indirekt die Agenda 2010, verzichtete aber darauf, wie üblich forsch auf weitere Veränderungen zu drängen.
Stattdessen fand er mit Blick auf die Sorgen vor der Globalisierung auffallend häufig ermutigende Worte. In einer sich rasch verändernden Welt sei es wichtig, persönliche "Haltepunkte und Ankerplätze" zu suchen und auch mal "das Unbezahlbare" - "Familie, Freundschaften und gute Nachbarschaft" - zu pflegen. Das alles, so Köhler gegen Ende, könne schließlich "die Welt zum Besseren verwandeln".
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