Berliner Platten : Nicht immer so ernst: Auch Jazz ist gern mal Unterhaltungsmusik. Ganz offensiv bei Wolfgang Mitschke und gediegen im Fingerschnippen beim Christian von der Goltz Trio
Jazz ist ja jetzt sowieso mit die schlimmste Klischeemusik im allgemeinen Bildungskanon. Also: natürlich nicht die Musik selbst. Sondern die Vorstellung, die man sich von dieser Musik macht. Jazz? Puh! Gilt gern als spaßfern und so angespannt, dass man ganz dudelig wird im Kopf von dem sperrigen Zeug, das doch nur Oberstudienräte in ihrer Freizeit als das Gute-Edle-Wahre zu sich nehmen, um das sich der Wolfgang Mitschke nun überhaupt nicht schert. Gleich mit dem ersten Titel seiner CD „Night Over Berlin“ sagt er: „Let’s play Smooth-Jazz“. Unterhaltungsjazz. Wobei man aber auch an dieser Platte sofort wieder eine Reflexion ansetzen könnte: Was denn das zum Beispiel für den Jazz als gruppendynamischer, interaktiver Musik heißt, wenn einer fast alles im Alleingang macht?
Mitschke spielt die Keyboards, Bass, Schlagzeug und sorgt für die Elektronik, während Jürgen Dietz dazu gelegentlich in sein Saxofon bläst für eine Fusion-Musik, die vielleicht doch noch eine Spur steriler klingt als sonst auf diesem Terrain. Jazz für Menschen, die mit Jazz eigentlich nicht können. Die Melodien auf „Night Over Berlin“ sind allesamt überschaubar, und es gibt keine Fragen, auf die die Musik nicht auch gleich eine Antwort hätte. Alles sonnengebräunt funky, selbst in den Balladen. Round-Midnight-Existenzialismus hat hier keinen Platz. Interessieren könnte das Album alle, die Klaus Doldinger tatsächlich für eine wichtige Figur im Jazz halten.
Ein Titel der Platte fand auch gerade den Weg auf eine CD-Kompilation des Max-Magazins. Gefälligkeitsmusik, klar. Aber eben gar nicht prätentiös dabei und mit diesem steten Fingerschnippen, das einen gleich durchreicht zu der neuen CD vom Christian von der Goltz Trio, wo man dann wieder die reine Handarbeit findet, die Interaktion und all that jazz. Mit den Referenzen des Berliner Pianisten und seiner beiden Begleiter Paul Imm und Heinrich Köbberling hat man bereits ein exquisites Lexikon des Jazz (Aki Takase, Lee Konitz, Dizzy Gillespie, Ed Schuller …), und überhaupt darf man für „Complicated Stories (With No End)“ diese eher edlen Adjektive aus der Schatulle nehmen und sie zur gefälligen Beschau auslegen: Elegant ist die Musik. Geschmackvoll. Behutsam. Gediegenster Modern Jazz, mit meist sehr freundlichen Melodien, die nach allen Regeln der Klaviertrio-Zunft durchgearbeitet werden und stets genug an Platz für die solistischen Schaufenster lassen, ohne dass man je das Fingerschnippen unterbrechen müsste. Nur vereinzelt kommt man auch – bei „Oberneuland“ etwa mit seiner Mischung aus der Motorik der Minimal Music mit dräuender Klassiketüde – in Gebiete, in denen sich der Swing in der Stimmung verdunkelt.
Musikalische Exzesse aber werden nicht gesucht. Kein High-Energy-Playing als Sturm, und nicht der Drang, zu lange den einzelnen Tönen nachzuhorchen, dass auch mal Löcher aufreißen könnten. Eher eine Rücklehnmusik. Jazz fürs kennerische Nicken unter Jazz-Fans. Am Sonntag wird die CD mit einem Konzert im A-Trane präsentiert. THOMAS MAUCH