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Berliner PlattenMäßig befriedigende Zeitreise

Mothers Little Helpers: „Be Hip“ (All Around Music/Rough Trade)

Meine Damen, nehmen Sie die Herrschaften an der Hand, schnallen Sie sich an und dann geht es los mit dem kleinen Ausflug in unserer Zeitmaschine. Erster Stopp: die Siebzigerjahre. Mothers Little Helpers haben nicht nur ein Hochkomma in ihrem Namen verdrängt, sondern offensichtlich auch die Popgeschichte der vergangenen drei Jahrzehnte. Davor war bekanntermaßen vornehmlich Rockmusik und die restauriert das Quintett auf seinem Album „Be Hip“ überaus liebevoll. Die wenigen elektronischen Einflüsse und sonstigen Modernitäten des Debüts sind nun völlig getilgt. Stattdessen: Forscher Hard Rock, ein bisschen Blues, ein wenig Funk, ein paar Tupfer Country und E- Gitarren, E-Gitarren, E-Gitarren. „Rock Song“ könnte auch von (Vorsicht: Kotztüten bereithalten) Foreigner sein und in „Change My Mind“ liefert Sänger Bob Greiner-Pol eine erstklassige Joe-Cocker-Imitation ab. Der Sound ist warm und herzhaft, die Grundeinstellung unglaublich altmodisch und die Überzeugungen demonstrativ retrospektiv – dabei ist das Durchschnittsalter der Band gerade mal süße 23 Jahre. Trotz dieser Jugend klingt man bisweilen wie Franz Zappa, und der ist ja schon tot. Das demonstrierte Handwerk allerdings ist so solide, dass die Band nicht nur mit einem von einer ostdeutschen Zigarettenmarke ausgelobten Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde, sondern sogar mit dieser Altherrenmusik durchkommt. Sicherlich, den guten alten Vorlagen wird nicht wirklich etwas Neues abgewonnen, aber dazu sitzt man ja auch nicht in der Zeitmaschine.

Luken dicht und zur nächsten Station. Einen Halt weiter sind wir schon da in den Achtzigern. Punk roch schon nicht mal mehr mies, aber hatte seine Spuren doch deutlich hinterlassen. Rock war jetzt nicht mehr so einfach, unschuldig, dafür aber musikalisch simpler. Earthbend aus dem brandenburgischen Finsterwalde bringen einen mit ihrem ersten Album „Young Man Afraid“ zurück in diese Zeit, spielen geradeaus und verzerrt, gönnen sich kaum Verschnaufpausen, bauen ziemlich gewaltige Gitarrenwände und trauen sich sogar mal ein, wenn auch angemessen kurzes, Solo. In der klassischen Trio-Besetzung mit Bass, Schlagzeug und Gitarre führen sie die Postpunk-Zeiten wieder auf, als man nach dem Nullpunkt, den Punkrock versucht hatte zu setzen, die Rockmusik langsam wieder entdeckte. Statt nur zu schrammeln, wurden wieder Riffs gespielt, die Rhythmussektion knüppelte nicht nur, sondern suchte versuchsweise nach einem Groove. Allzu musikalisch durfte man aber auch nicht werden, man wollte ja nicht wieder in die Rockisten-Falle tappen. Im Notfall half der Wille, alle Zweifel niederzuwalzen. Damit allein ist es aber natürlich nicht getan: Weder Sänger und Gitarrist André Kunze noch Schlagzeuger Tilo Hustan oder Bassist Christian Heinrich sind Songschreiber von außergewöhnlichem Format. So erfüllen sowohl Mothers Little Helpers als auch Earthbend zwar prima ihre Aufgabe als Tour-Guides in die Vergangenheit, aber am Ende der Reise steht die Erkenntnis, dass damals des Öfteren die bessere Musik gemacht wurde.

Earthbend: „Young Man Afraid“ (Rookie/Cargo)

THOMAS WINKLER

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