Berliner Platten : Unabhängigkeit bewahren: Worried Men und November geben selten Konzerte und vermeiden geschäftlichen Ehrgeiz
Independent ist ein schönes Wort, das sich jedoch schon vor Jahren in semantische Beliebigkeit zerfasert hat. Was heißt nicht alles so. Selbst einigen Bands, die bei konzernfreien Labels wie Sinnbus unter Vertrag stehen, darf unterstellt werden, dass Independent hier synonym für „noch (!) nicht bei einem Major unterschrieben“ verwendet wird. Ein sehr schönes, beinahe willkürlich gewähltes Beispiel für eine nicht gar so aufgesetzte Unabhängigkeit hingegen ist das Projekt „Worried Men“ von Peer Göbel, Steffen Melang und Matthi Ruthenberg. Während Göbel mit seiner Band Mobilé sonst an die Hamburger Schule erinnernden Gitarrenrock spielt, ist Ruthenberg seit Jahren mit den Elektro(-Indie-)poppern von Ampl:tude unterwegs. Melang spielte bei „Explosionsgefahr“. Alle drei haben also ihre Erfahrungen im Independentsegment gemacht, Erfolge und Niederlagen erlebt und kehren mit dem Album „Six by Three“ zu ihren Wurzeln zurück. Könnte man zumindest meinen, wenn die ersten Klänge der Blue-Grass-Ballade „Down in the Valley“ erklingen. Es folgen elf Folk-Standards, vorgetragen, als wären die Worried Men tatsächlich „Frankie und Johnny“ unter dem „Blue Moon of Kentucky“ begegnet. Mit zwei Gitarren und Peer Göbels Bratsche sowie einem authentisch gebrochenem dreistimmigen Gesang wird der Zuhörer vor ein virtuelles Lagerfeuer gesetzt, von dem er nicht so bald wieder aufstehen will.
Die so manches Mal geradezu lästig herausgestellte uninspirierte Langeweile gar nicht weniger Tocotronic- und Sterne-Epigonen weicht hier einer tiefen und vor allem glaubwürdigen Traurigkeit. Das Album ist nicht im Handel erhältlich und die Frage, wann denn wieder ein Konzert anstünde, wurde etwas neblig mit „vielleicht, irgendwann, ähem, schon“ beantwortet. Diese Flüchtigkeit und der mangelnde geschäftliche Ehrgeiz macht die Worried Men zwar nicht zwangsläufig zu großen Künstlern, zu Independents im Wortsinne aber schon. Nebenbei ist die Entdeckung, dass Musik im Herzen entstehen kann, auch nicht zu verachten.
Sehr viel akademischer wirkt ein weiteres Nebenprojekt Matthi Ruthenbergs, November mit dem Album „Fall“, das, ebenfalls nicht frei verkäuflich, noch nie live aufgeführt wurde. Bereits das Cover ist ein Unikat. Ein aus Sperrholz geschnittenes Rechteck, mit ähnlich geschwungener Beschriftung wie „Three by Six“ sieht das Ganze noch erdiger aus, der Sound jedoch ist ein gänzlich anderer. Sphärisch und meditativ hört sich das an. Wiederum kommen akustische Gitarren zum Einsatz, in der Ferne ertönen sanfte Glocken, rauscht ein Flüstern … Tanzen kann man darauf allerdings nicht, Träumen vielleicht, nur ist der innere Film nicht ganz so eindeutig zu fassen wie bei den Worried Men. Ampl:tude-Fans werden neben unvermeidlicher Ähnlichkeiten vor allem das Ernsthafte und Erwachsene an „Fall“ bemerken. Die manchmal fast zu süße Verspieltheit der Elektroband fehlt hier gänzlich, und so ist dieses Album ein gelungener Beleg künstlerischer Reife und Unabhängigkeit geworden.
Daniél Kretschmar