Berliner Platte : Mein Freund, die Düsternis
Im Juni fährt Anke Hachfeld nach Afghanistan. Wird sich die Augen mit Kajal rändern, ihren Künstlernamen Milu anlegen und einen Scheck überreichen. Das Geld für die Kinderheime des Roten Kreuzes kam zusammen mit Hilfe des Liedes „Aus Gold“, das die Sängerin mit dem Düsterpopper Peter Heppner aufgenommen hat. Das Lied ist eine Mitleid heischende Ode an ein unbekanntes Kind, bei dem Blicke in „leere Kinderseelen“ geworfen wird. Und weil Frau Hachfeld schon mal da ist, wird sie unter dem „Schutz der Bundeswehr“ ein Konzert geben, um „weitere Spenden zu sammeln“. Praktischerweise wird die ganze Unternehmung „von Journalisten begleitet“, was natürlich nur rein zufällig zeitlich zusammen fällt mit der Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums … Zynismus ist wahrlich nicht angebracht, wenn man „No Future In Gold“ hört. Eher schon ein dickes Fell. Hachfeld, deren Sopran bislang das mystische Geblubber von Mila Mar oder Schiller umflorte, haucht und juchzt, flüstert und schreit, tiriliert und stöhnt, dass selbst Nina Hagen ganz blass werden würde. „Wodurch wird der Mensch zum Mensch?“ flötet sie und besingt dann im Duett mit Heppner den „Lustschmerz“: Zwischen Erotiksimulation und Betroffenheitsbenefizlyrik ist viel Platz, den man bislang aber nicht dringend hatte erkunden wollen. „No Future In Gold“ klingt in etwa so als wären Evanescene in eine 2raumwohnung gesperrt worden. Der deutsche Säuselgesang und die demonstrativ naiven Texte rücken die Platte zusätzlich in die Nähe des Schlagers. Selbst die Coverversion des alten Fundi-Klassikers „Mein Freund der Baum“ lässt jede ironische Distanz vermissen. Fazit: Die neue afghanische Führung sollte womöglich in Erwägung ziehen, zumindest für die Zeit von Milus Aufenthalt das Musikverbot der Taliban wieder einzuführen.Andere dagegen müssen nicht in die Ferne schweifen, um das Grauen zu blicken. Die machen das im eigenen Oberstübchen, wo Texte aus Todessehnsucht und Albträumen, Existenzialismus und sonstigen schwer verdaubaren Erfahrungen entstehen. Oder gleich am Arbeitsplatz: Hagen Schneevoigt verdient sein Geld sonst mit der Vivisektion von Leichen. Auf „How Is This Going To End“, dem Debütalbum seiner Band Tunes of Dawn, spielt er Bass und singt mit ausladender Geste von Gewalt und Scheitern, während Breitwandgitarren und Donnerschlagzeug schüchterne Elektrobeats niederwalzen und Keyboards nervös dazwischen quengeln. Das Quartett mag sich von einer Vergangenheit im Death Metal verabschiedet und dessen Tempoexzesse begradigt haben, das schwerblütige Gitarrenhandwerk aber haben sich die „Dämmerungsrocker“ (Eigeneinschätzung) erhalten und arbeiten nun konsequent und ernsthaft sämtliche Klischees des Gothic-Gewerbes ab. Die Fachpresse bescheinigte „How Is This Going To End“ immerhin kein völlig überflüssiger Abklatsch von Type O Negative zu sein. Außerdem, und das muss man Tunes of Dawn zugute halten, verzichten sie auf die Mitwirkung von Peter Heppner.
THOMAS WINKLER