Berliner Platte : Wie die Musik zum Pathos kam
Pathos kommt von pathologisch. Könnte jedenfalls meinen, wer Klaus Hoffmann und seine Zeit als Sangeskünstler, die mit dem neuen Album „Von dieser Welt“ ins dritte Jahrzehnt geht, auf sich wirken lässt. Denn eines muss man Hoffmann lassen: Er bleibt sich und der Sentimentalität treu: Keine Metapher ist ihm zu ausgelutscht, kein sprachliches Bild zu altbacken, und selbst die wohltemperierte Klavierfigur hat noch nicht ausgedient. Da weiß man, was man hat, und auch, dass das Pathos auf leisen Sohlen daherkommt. Manchmal beginnt Hoffmann gar zu pfeifen, als wolle er sich gleich das Bündel über die Schulter werfen und auf Wanderschaft gehen. Hoffmann ist und bleibt der große Junge, aus dessen mittlerweile von Krähenfüßen dekorierten Augen der Schalk blitzt. So wie in „Dich einmal dick sehn“, einem an sich ehrenwerten Versuch, das pärchenweise Altern positiv zu wenden. Nur dichtet er dann: „Ich fühl mich wie Sägova. Sägova war ein Tanzartist aus Leningrad und schlug sich tapfer durch den Spargelsalat.“ Es sind solche und weitere Stilunsicherheiten wie die, „Die Straßen von Berlin“ dem Regierenden Namensvetter Wowereit zu widmen, die es einem gründlich verleiden, den eigentlich grundsympathischen Mann weiter sympathisch zu finden. Seiner stets treuen Klientel aber gelten solche Peinlichkeitsgrenzverletzungen längst als authentischer Ausdruck eines seltsam spinnerten Charakters, der sich stellvertretend für sein Publikum kleine Verrücktheiten leistet, die den Alltag erst erträglich machen. So schaumgebremst es bei Hoffmann daherdaddelt, so hemmungslos gibt sich das Pathos bei In Extremo. Wenn Dudelsäcke dudeln, Schalmaien tirilieren und Gitarren donnern, dann verbinden sich ausgerechnet die aufdringlichsten Eigenschaften von Heavy Metal, Folkrock und Mittelaltermusik auch auf „Mein rasend Herz“ wieder einmal zu einem gar nicht nachlassen wollenden Fake-Gefühl, einem Hohefest der überbordenden Geste, das die Puristen aller Lager erschüttert zurücklässt, aber dem fröhlichen Zecher einen prima Soundtrack für den nächsten lustigen Abend liefert. Kater inbegriffen. Pathos kann aber, und das ist dann die heutige schöne Erkenntnis, auch mal zufällig und elegant vorbeitrippeln an einem frühlingshaft faulen Sonntag. Im Rücken hat man das Straßencafé, aus dem wie zufällig „Nomad Songs“ von Micatone dringt und sich in die Geräuschkulisse der Stadt einschmiegt. Ob eher jazzig oder poppig, ob als Reggae oder mit Folk-Einflüssen, stets wirken Micatone zugleich unterkühlt und anregend wie ein Eiskaffee. Und erinnern darin an Sade, und die wiederzubeleben ist ja ein lobenswertes Unterfangen. Allerdings: Dass das Original damals nur eine gute LP zustande brachte, wirft die Frage auf, ob das Format womöglich endgültig ausformuliert ist. Die Antwort ist wie so oft: jein. Einerseits fügen Micatone dem Cocktail-Jazz der 80er-Jahre nichts grundsätzlich Neues hinzu, nur ein paar programmierte Beats. Andererseits kann einem das herzlich egal sein, solange an der Wand so eine attraktive Soundtapete hängt.
THOMAS WINKLER