Berliner Nahverkehr: S-Bahn ist völlig von der Rolle
Das Eisenbahnbundesamt legt hunderte S-Bahnen lahm, weil bei den Sicherheits-Prüfungen geschludert wurde. Chaos für Fahrgäste, Empörung im Senat.
Das Eisenbahnbundesamt sieht die Sicherheit bei der Berliner S-Bahn in Gefahr. Die Behörde zog am Dienstag die Notbremse und legte per Anordnung hunderte Waggons lahm, die die S-Bahn nicht ordnungsgemäß überprüft hatte. Die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), zeigte sich "entsetzt". Am Dienstagnachmittag standen noch rund 340 Waggons des vergleichsweise neuen Typs 481 auf der Warteliste der Werkstatt. Für die Fahrgäste gab es erhebliche Verspätungen: Auf zehn Linien gab es lange Zeit nur einen 20-Minuten-Takt. Die S 45 fiel den ganzen Tag komplett aus, die S 85 fuhr erst am Nachmittag wieder. Nur auf dem Ring versuchte die S-Bahn, den normalen Fahrplan aufrechtzuhalten. Ab wann die S-Bahn wieder wie gewohnt fährt, ist unklar.
Am 1. Mai war in Kaulsdorf die Radscheibe einer S-Bahn gebrochen und der Zug entgleist. Das Unternehmen hatte zugesichert, künftig bei allen Zügen die Räder alle sieben Tage zu überprüfen. Aber bei einer Kontrolle an diesem Montag "musste festgestellt werden, dass Zusicherungen der S-Bahn nur unzureichend eingehalten wurden", erklärte das Bundesamt. Es ordnete "aufgrund der hohen Sicherheitsrelevanz" an, die S-Bahn müsse "umgehend alle Züge außer Betrieb nehmen", deren Überprüfung überfällig ist.
Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer sagte am Dienstag nach der wöchentlichen Senatssitzung, sie sei "entsetzt". Wenn es stimme, dass die S-Bahn bei den Sicherheitsüberprüfungen geschludert habe, "dann habe ich erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der S-Bahn und der Funktionsfähigkeit der Geschäftsführung". Sie erwarte von dem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, dass es einen sicheren und funktionierenden S-Bahn-Verkehr gewährleiste.
Junge-Reyer sagte, sie habe bereits in dem Vertrag nachgelesen, den das Land mit der S-Bahn abgeschlossen hat und der noch bis 2017 läuft. Die S-Bahn finanziert ihren Betrieb nur teilweise aus Fahrkarteneinnahmen, der Rest kommt vom Land. Das Unternehmen muss jetzt mit weniger Geld vom Senat rechnen. Junge-Reyer: "Da, wo ein Zug nicht fährt, wird auch nicht gezahlt." Auch über eine Kündigung des Vertrages habe sie bereits nachgedacht. Aber "das Problem ist, dass wir nicht unmittelbar einen anderen Anbieter einsetzen können" - die S-Bahn sei faktisch Monopolist.
S-Bahn-Geschäftsführer Tobias Heinemann sagte, er habe erst am Montag von den Fristversäumnissen bei den Prüfungen erfahren. Es werde nun interne Untersuchungen geben. Fahrgäste berichteten am Dienstag, dass auf bestimmten Linien wie etwa der S 1 die Züge so voll waren, dass sie nicht mitgenommen werden konnten. Zahlreiche Pendler stiegen in Busse und Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) um. Heinemann bat die Kunden um Entschuldigung.
Kritiker, unter anderem vom Fahrgastverband, sehen als Grund für die wiederholten Zugausfälle und Verspätungen bei der S-Bahn in einem rigorosen Sparkurs der Bahntochter, was das Unternehmen bestreitet. Der Senat hatte die Zuschüsse an die S-Bahn in diesem Jahr bereits um fünf Millionen Euro gekürzt.
Senatorin Junge-Reyer
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