Berliner Mauerwanderweg (Teil 11): Bahn frei für die Generation Golf

Zwischen Hennigsdorf und Hohen Neuendorf zeigen sich viele Absurditäten der einstigen deutschen Teilung: staatlich geschürtes Misstrauen unter Grenzsoldaten, Dörfer direkt an der Mauer und die tödlichen Schüsse auf drei Fliehende.

11. Etappe Bild: Infotext

Die Laterne hat vier Farbstreifen: rot-weiß-grün-weiß. Sie sind auf Augenhöhe, jeder von ihnen etwa handbreit. Die Farbe ist stark verwittert, aber noch zu erkennen. Einst stand die Laterne auf dem Todesstreifen. Für die Autofahrer, die auf der Ruppiner Chaussee fahren, ist davon heute kaum noch etwas zu erkennen: Erst fahren sie durch viel Wald, dann kommt eine etwa 40 Meter breite Schneise, dann wieder viel Wald. Gemerkt? Die Schneise, das war der Todesstreifen. Und die Farbstreifen auf der Laterne, die bis heute hier steht - das war die vordere Postenbegrenzung.

Sie trennte den Todesstreifen in zwei Teile: in einen, der für Grenzpolizisten ungefährlich war, und in den anderen. Wenn sie diese imaginäre Linie überschritten, galt das als Fluchtversuch. Ihre Kameraden waren angehalten, sofort das Feuer zu eröffnen.

Neubaugebiet: In dem Dorf Stolpe-Süd stehen jetzt Familienhäuser, wo früher die Mauer verlief. "Kuckucksruf" lautet der ziemlich idyllische Name der Zonengrenzstraße, von dort zweigt die "Freiheit" ab und der Weg "Einheit".

A 111: Im Dezember 1987 wurde die Autobahn für den Transitverkehr von Autos und Lastwagen in Richtung Hamburg eröffnet. Die ehemalige Grenzübergangsstelle Heiligensee/Stolpe ist heute noch erkennbar.

Invalidensiedlung: Ab dem Jahr 1937 bauten die Nazis rund 50 verklinkerte Häuser mit jeweils zwei Geschossen. Hier sollten Verwundete aus dem Ersten Weltkrieg unterkommen. Zu der Siedlung führt heute der Staehleweg - benannt nach Wilhelm Staehle, der an den Planungen für das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war und von den Nazis erschossen wurde.

Alle Etappenbeschreibungen erscheinen unter taz.de/mauer

Was aber, wenn mehrere Grenzer sich verabredeten, gemeinsam zu fliehen? Das durfte nicht passieren - also wechselte ständig die Zusammensetzung der Patrouillen. Dadurch konnte kein Vertrauensverhältnis unter den Soldaten entstehen. Es herrschte Misstrauen und Angst. Denn wer über Rot-Weiß-Grün-Weiß geht - auf den wird geschossen.

150 Meter östlich der Ruppiner Chaussee beginnt das Dorf Stolpe-Süd. Wo einst die Grenzer auf dem Kolonnenweg patrouillierten, verläuft die Straße mit dem Namen "Kuckucksruf". Links zweigt erst die Straße "Freiheit" ab, die nächste heißt dann "Einheit". Einfamilienhaus-Idylle überall, Kinder schreien im Garten.

Direkt neben den Häusern verlief die Mauer. Sie war weit mehr als ein Reisehindernis. Für die, die von beiden Seiten aus direkt darauf schauten, war sie auch eine Demütigung. Genau wie der Fall der Mauer: Nach 28 Jahren war sie plötzlich durchlässig und dann schnell verschwunden. Ohne Krieg, ohne Gewalt. Was für ein Hohn.

Heute hat Stolpe-Süd sich noch ein kleines bisschen weiter Richtung Süden ausgedehnt und ist nun bis auf den ehemaligen Todesstreifen gewachsen, als ob es darum gehe, die Schmach der Mauer vergessen zu machen. Doch direkt nach den letzten Häusern von Stolpe-Süd beginnt wieder der Wald - und der einstige Kolonnenweg der Grenztruppen. Nach zwei Gehminuten führt die Strecke auf die Autobahn 111. Die wurde in den Achtzigern gebaut und für den Transitverkehr nach Hamburg freigegeben. Die Grenzer überquerten die Autobahn auf einer Brücke, die heute abgerissen ist. Der Kolonnenweg endet also abrupt. Ein paar Meter weiter südlich ist eine neue Brücke für Fußgänger und Radfahrer angelegt worden.

Nach der Brücke wird der Autoverkehr mit jedem Schritt leiser - dafür rauschen die Blätter im Wald. Und es folgen eine Menge Bäume. Kurz bevor der Weg scharf nach links abbiegt, kommt eine Lichtung, perfekt für eine Pause.

Etwas unheimlich sind beim Weiterwandern in Richtung Norden die Wege, die links immer wieder schnurgerade in den Wald hereinführen - ohne sichtbares Ende.

Dann erweitert sich der Horizont. Der Wald weicht Wiesen, ein kleines Elektroauto schnurrt über den Rasen. Es ist ein Golf-Buggy. Auf der Brandenburger Seite ist der "Golfclub Stolper Heide" entstanden. Die maßgeschneiderte Clubkollektion, bestehend aus Clubhose, Clubsakko und Clubweste, kostet 567 Euro. Der Platz hat 36 Löcher, einige kleine Seen und viele Bunker. Sandbunker.

Auch ein Stück weiter bleibt es sportlich: Drei Jugendliche pesen auf ihren BMX-Rädern über die Erdrampen neben dem Kolonnenweg. Später wechselt der Mauerweg auf die Westseite und führt durch die Invalidensiedlung - hier entstand eine der ersten Einrichtungen für Kriegsinvaliden in Deutschland. Auch heute noch wohnen in den rund 50 Ziegelsteinhäusern viele Schwerbehinderte.

Kurz vor dem S-Bahnhof Hohen Neuendorf geht es wieder auf die Brandenburger Seite. Eine Gedenkplakette erinnert an Marinetta Jirkowski. Am 22. November 1980 wollte die 18-Jährige mit ihrem Verlobten und einem Bekannten in den Westen fliehen. Um halb vier in der Früh kletterten sie mit Leitern über die Sperrzäune auf den Todesstreifen und über die Mauer. Ihr Verlobter war bereits auf der Westseite, als auf Jirkowski 27-mal geschossen wurde. Sie fiel schwer verletzt zurück, der Bekannte schaffte es noch über die Mauer. Jirkowski starb noch am gleichen Tag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.