Berliner Familienplanungszentrum: „Mit Faschisten verglichen“
Das Berliner Familienplanungszentrum Balance, das auch Abtreibungen vornimmt, wird von radikalen Abtreibungsgegnern diffamiert.
taz: Frau Schulz, was passiert, wenn eine Frau zu Ihnen kommt, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen?
Sybill Schulz: Sie bekommt einen Gesprächstermin. Nach dem Gespräch kann sie sich entscheiden, die Schwangerschaft auszutragen. Nach drei Tagen vorgeschriebener Bedenkzeit kann sie den Abbruch hier im Haus ambulant oder in einer Klinik vornehmen lassen. Etwa 1.000. Jeder zehnte Schwangerschaftsabbruch in Berlin wird in unserem Zentrum durchgeführt. Zu uns kommen viele Frauen, die bereits sehr entschieden in Richtung Schwangerschaftsabbruch sind.
Sie sagen, Sie werden von Abtreibungsgegnern diffamiert. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Zum Beispiel demonstrieren Gruppen bei Kongressen, die wir zum Thema Schwangerschaftsabbruch organisieren, und verteilen Püppchen aus Plastik an Passanten. Die Puppen sollen den Fötus in der zwölften Schwangerschaftswoche darstellen, sind aber deutlich größer. Das soll zeigen: Hier wird Leben getötet.
Richten sich die Angriffe auch direkt gegen das Familienplanungszentrum?
Wir bekommen Briefe von Geistlichen, die sich gegen unsere Arbeit aussprechen. Wir werden im Internet mit Faschisten verglichen und „Tötungszentrum“ genannt, wogegen wir geklagt haben. Es endete mit dem Urteil, dass diese Bezeichnung unter Meinungsfreiheit fällt. ÄrztInnen, mit denen wir kooperieren, erhalten diffamierende Faxe, Fotos unserer ÄrztInnen werden im Internet gezeigt, sie werden als „Massenmörderinnen“ bezeichnet.
Sie wurden auch schon verklagt.
Eine Gruppe radikaler Abtreibungsgegner hat uns angezeigt. Wir würden den Schwangerschaftsabbruch und die Beratung vor dem Abbruch nicht ordnungsgemäß trennen, hieß es. Das hat eine regelrechte Lawine losgetreten: Wir wurden mehrfach überprüft, und die Senatsverwaltung, die uns zum Teil finanziert, bat uns, die Trennung zwischen Beratung und Abbruch, die schon immer bestand, nach außen hin noch sichtbarer zu machen. Uns wurde auch vorgeworfen, wir würden auf unserer Webseite Werbung für Schwangerschaftsabbrüche machen, was verboten ist. Wir werben nicht für Schwangerschaftsabbrüche. Wir informieren wie jede gynäkologische Praxis über unsere Angebote und gewährleisten somit Zugang zu Dienstleistungen.
Haben denn Abtreibungsgegner wieder Konjunktur?
Ich habe jedenfalls den Eindruck. Wenn zum Beispiel über 2.000 Menschen zu einem „Marsch für das Leben“ kommen, empfinde ich das bei dem Thema als viel. Diese Märsche finden auch in anderen Großstädten Deutschlands statt. Ich würde das als kampagnenartiges radikales Vorgehen bezeichnen.
Wer sind die Abtreibungsgegner in Berlin?
Radikale konservative Kräfte, sehr gut organisiert, häufig aus religiösen Kreisen. Sie wollen Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politik nehmen, um an erkämpften Rechten zu sägen. Es gibt einige Schlüsselfiguren, zum Teil sind es Geistliche, die auch bundesweit Aktivitäten organisieren und in verschiedenen Gruppierungen aktiv sind. Da wäre die „Initiative Nie wieder!“ aus Süddeutschland zu nennen, die sehr aktiv mit Anzeigen gegen Familienplanungszentren ist. Der Verband „Lebensrecht“ veranstaltet seit 2008 jedes Jahr den „Marsch für das Leben“ in Berlin. Letztes Jahr kamen laut Polizei 2.200 radikale Abtreibungsgegner, die mit weißen Kreuzen, Plakaten und Texten wie „Jedes Kind will leben“ durch Mitte zogen. Zum Glück gibt es auch viele GegendemonstrantInnen, die unter dem Motto „Tausend Kreuze in die Spree“ dagegen protestieren.
45, ist Juristin, Gesundheitswissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Familienplanungszentrums Balance in Lichtenberg. Das Zentrum bietet sowohl Beratung als auch medizinische Hilfe in sexualpädagogischen und psychologischen Fragen an. Es hat rund 30 MitarbeiterInnen, darunter PädagogInnen, PsychologInnen und Hebammen. Es wird zu 40 Prozent vom Senat, zu 60 Prozent durch eigene Leistungen und Spenden finanziert.
Und außer diesen groß angelegten Aktionen?
Da wird etwa unter dem Motto „Schutz des Lebens“ versucht, Behindertenverbände oder Familien mit behinderten Kindern einzubinden, um zu zeigen: Diese Kinder haben ein Recht auf Leben. Aber das ist natürlich gar keine Frage! Ein großer Teil der Arbeit des Familienplanungszentrums Balance ist die Beratung beeinträchtigter Menschen. Wir unterstützen Behinderte in der Wahrnehmung und Auslebung ihrer Sexualität und Partnerschaft, dazu gehört auch die Beratung bei Kinderwunsch. Auch hier gilt: Jede Frau hat das Recht, selbst über ihren Körper zu entscheiden.
Sind die Abtreibungsgegner vernetzt?
Sie gehören zur international wachsenden „Pro Life“-Bewegung. Aber ihre Gedanken und Ideen sind auf allen Ebenen der Gesellschaft präsent. Manche Rechtsanwaltskanzleien vertreten uns etwa nicht, weil sie auf der anderen Seite stehen. Manche Beratungsstellen beraten tendenziös. Manche ÄrztInnen sind Gegner von Abbrüchen, was die Sache problematisch macht. Und es gibt eine sehr starke Front gegen die rezeptfreie Vergabe der „Pille danach“. In den meisten europäischen Ländern gibt es sie mittlerweile ohne Rezept. Wir kämpfen seit mehr als zehn Jahren intensiv für die rezeptfreie Vergabe auch in Deutschland und verweisen immer wieder auf die Erfahrungen in den anderen Ländern und auf patientenorientierte Medizin.
Warum haben diese Gruppen Konjunktur?
Es gibt gerade einen Rollback, was die sexuelle Selbstbestimmung angeht. Es hat wohl immer ein Schwanken zwischen liberaleren und konservativen Phasen in der Geschichte gegeben, derzeit erleben wir Letzteres. Bei den Beratungen zum Thema Schwangerschaft sind zum Beispiel rechtliche Regelungen verschärft worden, das unterstützt Abtreibungsgegner. Zudem gibt es wieder ein starkes Gefühl von Schuld unter den Frauen: Ich bin schuldig, wenn ich schwanger bin. Ich habe nicht aufgepasst, nun töte ich Leben. Wir können nicht wirklich nachvollziehen, woher das kommt. Die Sexualaufklärung ist viel besser geworden, verschiedene Studien zeigen, dass sich auch das Verhütungsverhalten verbessert hat. Und trotzdem dieses Gefühl von Schuld – das passt nicht zusammen. Dagegen arbeiten wir an.
Der „Marsch für das Leben - für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ wird vom Bundesverband Lebensrecht organisiert. Am Samstag, 22. 9., soll es um 13 Uhr eine Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt geben, um 15.30 Uhr außerdem einen ökumenischen Gottesdienst in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz. Der Marsch will laut Website „der Kinder gedenken, die Tag für Tag in Deutschland noch vor ihrer Geburt getötet werden“. Unterstützer sind etwa die Kirchen, Grußworte schickten vergangenes Jahr unter anderem die CDU-Bundespolitiker Volker Kauder, Wolfgang Bosbach und Dorothee Bär.
Die Gegendemo
Die Gegendemo „Marsch für das Leben - What the fuck! Gegen christlichen Fundamentalismus und Abtreibungsverbot“ trifft sich am Samstag um 12.30 Uhr zur Protestkundgebung an der Otto-von-Bismarck-Allee Ecke Willy-Brandt-Straße. Ab 14 Uhr Bebelplatz/Unter den Linden. (pat)
Was wollen Sie politisch erreichen?
Wir wollen vor allem verhindern, dass der Zugang zu Abbrüchen wieder erschwert wird. Zu uns kommen bereits jetzt viele Frauen aus dem Umland. Frauen, die in einem kleinen Ort wohnen, fürchten häufig um Diskretion. Frauen haben für ihre Rechte gekämpft: Ich entscheide über meinen Körper und meine Lebensplanung. Das muss so bleiben. Den Druck der Schuld wollen wir nicht wieder zulassen.
Setzen Sie sich denn auch direkt mit den Gegnern auseinander?
Das ist ein großes Problem: Es ist nicht möglich, sich zusammen an einen Tisch zu setzen, Argumente abzuwägen und fachlich zu diskutieren. Es geht um Unterstellungen, die nicht wissenschaftlich untermauert sind, wie eben die Bilder oder Püppchen. Hier werden falsche Sachverhalte dargestellt. Es geht um Weltanschauung, um Glauben und nicht um Sachfragen – schon gar nicht um die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Frau. Ich denke, es geht vor allem um Kontrolle über den Körper der Frau, Kontrolle der Fruchtbarkeit sowie die konservative Eiferei zum angeblichen Schutz des ungeborenen Lebens, nicht des geborenen Lebens. Um den kümmern sich diese Gruppen kaum.
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