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Berliner Babylon-Ausstellung in LondonVieles ist verloren

Die Berliner Babylon-Ausstellung ist nun in London zu sehen. Dort wirft man einen genaueren Blick auf den Zustand der archäologischen Stätten.

Eben noch in Berlin und schon wieder weg: Gemälde "Semiramis" der Babylon-Ausstellung. Bild: dpa

Empörung wäre angebracht - ein Schrei der Wut und des Zorns über die Zerstörung und den Verlust! Die große Babylon-Ausstellung, die vor einigen Wochen in Berlin zu Ende ging, ist in London neu gestaltet worden und wie angekündigt wurde sie um eine Dokumentation über den Zustand der archäologischen Stätten ergänzt. Leider wirkt der kurze Film über die klägliche Lage im Irak nur wie eine lästige Fußnote. Und sein verhaltener, höflicher Ton, lässt Erregung, geschweige denn Wut, erst gar nicht aufkommen.

Aber zurück zum Anfang: Eine sehr schöne Ausstellung ist den Herren hier in London gelungen. Den großen Bogen über die Geschichte Babylons haben wir in Berlin schon erlebt. Nun kann wirft das British Museum einen genaueren Blick auf die Zeitspanne des 7. und 6. Jahrhunderts, die Zeit Nebukadnezars bis zum Eintreffen der Perser. Die relativ kleine Ausstellung ist ein Beweis, dass weniger mehr sein kann. Von den hundert Exponaten glänzen besonders die Tontafeln mit Keilschrift, kunstvoll beleuchtet im dunkelblauen Raum. Von oben rieselt die klangvolle babylonische Sprache des Textes herunter ins Ohr - und versetzt einen in jene ferne Welt zurück. Anders als in Berlin, erzwingt die neue direkte Konfrontation der babylonischen Exponate mit den moderneren Bildern einen Dialog zwischen den babylonischen, biblischen und europäischen Geschichten.

Selbstverständlich erfährt man auch hier nichts über Frauen, Sklaven oder sonstige Untertanen. Erneut stehen stehen die enorme Bauten, die technische Errungenschaften, die Kriegserfolge und der Frieden im babylonischen Reich im Zentrum. Betont werden besonders die Folgen für das jüdische Volk, das nach der Plünderung Jerusalems unter Nebukadnezar in ein rund sechzigjähriges Exil nach Babylon verschleppt wurde. Erst die Persische Eroberung ermöglichte die Rückkehr.

Dass die Aufklärung über die Zerstörung der letzten Jahre eher gedämpft ausfällt, ist kein Zufall. Aber unter den heutigen Gegebenheiten ist das Vorhaben an sich schon eine verdienstvolle Tat. Tatsächlich hat das British Museums bei der Rettung des irakischen Kulturguts und der Unterstützung ihrer irakischen Kollegen in den letzten Jahren eine führende Rolle eingenommen. Museumsbehörden und Archäologen haben vor dem Angriff im April 2003 dringend über die Gefährdung des kulturellen Erbes gewarnt. Trotz allen Bemühungen mussten sie frustriert und hilflos bei der Plünderung und Zerstörung zusehen.

Im Film sind jetzt die bekannten Stellen der Stadt Babylon zu sehen, an denen die Amerikaner 2003 einen Militärstützpunkt eingerichtet haben: Die uralten Ziegelsteine des Prozessionswegs zum Ischtar-Tor sind von den schweren Fahrzeugen beschädigt, Teile der Mardukfiguren sind zerbrochen (und neun dieser Figuren verschwunden!), die Erde der Stätte ist durch Öl und Chemikalien verunreinigt.

Nicht erwähnt werden die Zerstörungen in unzähligen anderen Stätten wie Umma, Ummal-Hafryat und Addab, um nur einige zu nennen. Sogar in Ur, der sumerischen Stadt aus dem 4. Jahrtausend - hier wurde Abraham geboren, hier ist das Gilgamesch-Epos entstanden - sind in den und um die archäologischen Stätten schwere Schäden durch die militärischen Aktivitäten entstanden. Wände und Mauer, die 5.000 Jahre heil überstanden haben, zeigen nun Risse und Bruchstellen. Der königliche Friedhof ist in Gefahr einzustürzen, die Südseite des Ziggurats, also des Stufentempels, ist durch einen Luftangriff beschädigt. Viele Teile dieser uralten Stadt sind unwiederbringlich verloren. Denn ihre Gemäuer bestehen bloß aus gebranntem oder auch ungebranntem Ton. Versteckt unter dem Sand, sind die Reste äußerst fragil und empfindlich. Unerwähnt bleiben aber auch die verbreiteten Plünderungen, die der Antiquitätenmarkt provoziert.

Eigentlich hatte das rechtswidrige Graben aufgehört. Nach der Revolution 1958 hat der Irak seine Fundstätten streng kontrolliert. Trotzdem beförderten verschiedene Ereignisse den Boom des illegalen Handels mit Kulturgütern. Als Ende der 80er-Jahren in den USA die Kurse an den Aktienmärkten einbrachen, suchten die Investoren infolgedessen nach anderen Investitionsmöglichkeiten und entdeckten die antike Kunst. Gleichzeitig verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage im Irak aufgrund des Krieges mit dem Iran. Nach den Sanktionen gegen den Irak 1990 brachte der Golfkrieg 1991 weiteres Chaos. Unter den Folgen litten die Ärmsten am stärksten, besonders im Südirak, und so fingen sie an, in den abgelegenen Stätten zu graben.

Schon 1994 gab es eine Flut von Fundstücken bei Händlern in London und anderen Handelszentren. Sammlungen in den USA, Japan und den Golfstaaten wuchsen in dieser Zeit beträchtlich. Seither sind weiter tausende von Fundstücken auf dem Markt gekommen; archäologische Schätze ohne Herkunftsangaben, womit die wichtigsten Informationen, die nur aus dem Grabungskontext herzuleiten sind, für immer verloren gingen. Informationen, die ein Schlüssel zu den Ursprüngen der Menschheit, zu Mythologie und Geschichte sind. Die Schuldigen sind nicht die Armen im Irak. Die Schuldigen sitzen in den USA, in Europa und im Nahen Osten. Die Schuldigen sind eine politisch apathische Öffentlichkeit und Wissenschaft, die die Entwicklung und den Erfolg des illegalen Handels befördern.

Wir lassen es zu, dass mit der Vor- und Frühgeschichte des heutigen Irak auch unsere eigene Geschichte verloren geht. Neil MacGregor, der Leiter des British Museums, spricht von den verschiedenen "Narratives" der Pariser, Berliner und Londoner Babylon-Ausstellungen. So verschieden sind diese Erzählungen nicht, sie eint das europäische kulturelle Erbe. Der Irak wird seine eigenen Erzählungen haben, auch die von der Zerstörung seines Kulturerbes, seines Potenzials, die Menschen des Landes zusammenzubinden.

Wenn auch unzulänglich, trägt die Babylon-Ausstellung in London dazu bei, diese Notlage im Irak ins Bewusstsein zu rücken. Es reicht nicht, die Schätze Mesopotamiens hier in Europa zu würdigen. Dass Handeln angesagt ist, zeigt auch das Beispiel eines im April dieses Jahres angekündigten Bauvorhabens in Bagdad. Dort soll ein Entertainmentpark im Disneystil entstehen, angesiedelt ausgerechnet im Al-Zawra-Park, einer funktionierenden Gartenanlage im islamischen Stil, in der sich seit jeher die Familien Bagdads am Wochenende treffen. Das Konzept wird vom Pentagon unterstützt.

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