Berliner Adventskalender (4): Die 4-Meter-Bühne
Die Bühne ist winzig, aber offen für Talente. Im Scheinbar-Varieté hatte manch heutige Komiker-Größe ihren ersten Auftritt. Gerade ist das Minintheater 25 Jahre alt geworden.
Auf allen Radio- und Fernsehkanälen schreit Mario Barth es uns entgegen: "Das ist mein Laden!" So preist er lautstark einen Multimedia-Großmarkt und gaukelt Verbundenheit vor. Doch Barths "wahrer" Laden, nämlich seine künstlerische Heimat, liegt nicht irgendwo im Einkaufszentrum. Er liegt vielmehr in der Monumentenstraße in Schöneberg. Dort befindet sich die Scheinbar, das kleinste Varieté Deutschlands. Lange bevor Barth das Olympiastadion füllte, hat er hier auf einer Bühne, die schmaler als der Bürgersteig vor der Tür ist, seine ersten Witze vor Publikum getestet.
Betritt man den kleinen Raum, steht man direkt zwischen den Stuhlreihen im Zuschauerbereich. Davor liegt die winzige Bühne. Vier Meter breit sind ihre Bretter, die für einige heute bekannte Comedians einst die Welt bedeutet haben. "Hier sind so einige alte Hasen schon aufgetreten, als sie noch unbekannt waren", erzählt Daniela Schäfer, zuständig für das Programm und Künstler-Booking. Neben Mario Barth hätten auch Meret Becker, Kurt Krömer oder Eckard von Hirschhausen in der Scheinbar ihre ersten Auftritte. Manche von ihnen kämen ab und zu noch vorbei. "Eckhard hat letztens erst sein neues Programm ausprobiert. Krömer wollte auch mal wieder vorbei kommen, hat aber viel zu tun."
Seit 1984 gibt es die Scheinbar. Gegründet wurde sie damals von SchülerInnen der Berliner Artistenschule "Etage". Ihr Credo vor 25 Jahren lautete "Wir baun uns unsere Bühne selbst". Selbstmachen ist auch heute noch angesagt. An mindestens 4 Tagen in der Woche steht "open stage" auf dem Programm: Jeder, der will, kann spontan teilnehmen und versuchen, das Publikum zu belustigen. Das Repertoire reiche vom Musiker bis zum Zauberer. "Wir haben alles", erzählt Schäfer. "Alte und junge, gute und schlechte. Unser Anspruch ist aber schon professionell." Das Varieté sei eine regelrechte "Werkstatt für Kleinkunstgrößen", sagt sie. "Bekannte Künstler kommen häufig her, um an ihrem Programm zu arbeiten oder Werbung für größere Auftritte zu machen." Sie will zwar keine Namen nennen, aber manche Berühmtheit sei hier anfangs kritisiert, mitunter sogar ausgebuht worden. Die räumliche enge und Nähe zum Publikum kann zum Problem werden: "Vielen ist es unangenehmer in so einer Atmosphäre zu spielen, als auf einer großen Bühne zu stehen, wo man die Zuschauer nur als schwarze Wand wahrnimmt."
Wie unterschiedlich die Teilnehmenden sind, sowohl in ihrer Kunst als auch Qualität, zeigt sich auch an diesem Mittwochabend: Durch den Abend führt Helga, die Venus von der schwäbischen Alb, die eigentlich Otto heißt und knapp zwei Meter groß ist. In ein himmelblaues Kleid und weiße Kniestrümpfe gehüllt, sagt sie die Gäste an und macht einen Kopfstand, während sie eine Kuhglockenkapelle im Publikum dirigiert. Einer der Künstler berichtet von den Behandlungsmethoden eines Allgäuer Urologen, eine Pianistin spielt ein Stück, dass sie einer alten Frau in der Uckermark gewidmet hat. Ein anderer ist an diesem Abend besonders aufgeregt - oder einfach zu subtil: Während seines Auftritts zieht er mehrmals verschämt grinsend einen Schmierzettel aus der Hosentasche, um nach seinen Pointen zu sehen.
Am Ende des Abends taucht dann auch Mario Barth auf. Allerdings nur als Gegenstand einer Pointe. Der vierte Künstler im Programm fragt nach der Gemeinsamkeit des Berliner Komikers mit Hitler - beide waren im Olympiastadion. In der Scheinbar war scheinbar nur einer.
Morgen: Die 5-Quadratmeter-Zelle
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