piwik no script img

■ BerlinalienStolpersteine am Bayerischen Platz

Vor der U-Bahn-Station Bayerischer Platz im Westberliner Stadtteil Schöneberg hängt weit über Augenhöhe an einem Laternenpfahl ein emailliertes Hinweisschild. Weiß auf blauem Grund ist das große U zu sehen, zum Verwechseln ähnlich mit dem Signum der BVG. Aber wer glaubt, die Tafel sei ein Wegweiser für Weitsichtige, irrt, die Rückseite der Tafel beweist es. „Juden dürfen öffentliche Verkehrsmittel nur noch auf dem Weg zur Arbeit benutzen 13.9. 1941“ steht dort zu lesen und weiter: „Vollständiges Benutzungsverbot 24.4.1942. Die Benutzung von Fahrkartenautomaten ist für Juden verboten. 26.6.1942“. Und das alles ohne Anführungszeichen, ganz im Jenninger-Stil.

Als junge Leute dieses und 16 weitere Schilder kurz nach dem Mordbrennen in Solingen an die Peitschenlampen montierten, riefen Bürger die Polizei. Judenfeinde seien am Werk, hieß es. Und so tat die Polizei das, was sie sonst selten tut, sie konfiszierte sofort die Schilder, schaltete den Staatsschutz ein und wollte die Täter an Ort und Stelle verhaften. Eine große Boulevardzeitung titelte am nächsten Tag: Aufmerksame Bürger verhindern antisemitische Parolen.

Aber was den Bürgern wie Propaganda erschien, war keine, sondern die Installation eines Kunstwerkes, das ganz bewußt provozieren soll. Denn die Mitarbeiter des Kunstamts Schöneberg waren dabei, die ersten der 81 Teile eines hochgelobten und mit Preisen ausgezeichneten „dezentralen Denkmals“ von Renate Stih und Frieder Schnock für die während der Nazizeit verfolgten Berliner Juden aufzustellen. Das erste Denkmal in Deutschland, das nicht mit einer Monumentalplastik an die Lebensvernichtung erinnert, sondern durch die Veröffentlichung von Verordnungstexten an die von fast allen Deutschen hingenommene Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben. Der prompte Ruf nach der Polizei zeigte, daß die Bürger weitaus sensibler auf Diskriminierung reagieren, als alle Museumspädagagogen je zu behaupten wagten. Lieber ein Mißverständnis zuviel als die Gewöhnung an Unmögliches, ist die beruhigende Schlußfolgerung, die man daraus ziehen kann.

Inzwischen ist das dezentrale Denkmal offiziell eingeweiht worden und sorgt bei den Anwohnern für lebhaften Gesprächsstoff. Mißverständnisse sind ausgeschlossen. Unter jeder Tafel hängt jetzt auf Vorschlag der Jüdischen Gemeinde ein Schildchen, wieso und warum und für wen das als „Stolpersteine“ bezeichnete Gesamtkunstwerk entworfen worden ist. Und auf den Peitschenlampen klebt in Augenhöhe mindestens ein erklärender Aufkleber. Neue Mißverständnisse stehen allerdings trotzdem ins Haus. So beklagte sich eine Bäckerin über das vor ihrer Konditorei hängende Schild mit einer Torte. Die Verordnung von 1942, daß an Juden und Polen keine Kuchen verkauft werden dürfen, könnten die Angesprochenen wörtlich nehmen. „Das ist Geschäftsschädigung“, sagt sie. Anita Kugler

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen