Berlinale: Verfolgungswahn
Die Stadt bei den Filmfestspielen: Zwischen Paramount und Paranoia
Wir Journalisten wissen: Eine Stadt ist so, wie ihre Boulevardzeitung. Sie ist das Vexierbild ihres Gemütslebens und ihres Geisteszustands. Für Berlin gilt: Wahn und Wirklichkeit, ein wahrhaft wagnerisches Thema.
Die taz fragt ausländische Korrespondenten, wie sich die Stadt zur Berlinale präsentiert. „Endlich strahlt der Potsdamer Platz“, antwortet statt meiner die B.Z. des Chefredakteurs Franz Josef Wagner.
Wäre ich Fotoreporter, hätte ich ein Foto geschickt. Vom Potsdamer Platz, vom S-Bahn-Aufgang in Richtung Infobox: Zertretene Bierdosen, Plastiktüten, weggeworfene Zeitungen, entwertete Fahrscheine, zerknüllte Zigarettenpackungen, Kippen, mitgeschleppter Baustellendreck und mitten drin ein Bettler mit seinem armen Hündchen – so sieht der Rote Teppich für den normalen Berlinale-Besucher aus.
Mein Krankheitsbild ist schnell beschrieben: Ich leide an Verfolgungswahn wg. Größenwahn. B.Z.: „Nie waren es mehr Stars, nie größere Filme ...“
Doch es gibt drei Probleme: Die Jury! Besetzt mit einer leibhaftigen Rotchinesin! Wagner lässt dümmlich ausländerfeindlich fragen: „Wie kompetent ist die schöne Chinesin als Jury-Chefin?“ Dann: Was sind das bisher für Filme im Wettbewerb! Tatsächlich: Die Major Companies majorisierien. Es kommt keine Freude auf, außer bei jenen 68er Politrockern, die heute als Filmkritiker Wim Wenders oder diesen französischen Fassbinder-Verschnitt hochjubeln.
Schließlich: Was sind das für Stars, die von ihrer Rolle überfordert durch die Hintertür schleichen! 1.000 Mark bot die B.Z. der ersten Berlinerin, die DiCaprio küsst. Dann die Enttäuschung. Wagner outete: „Er küsste nur seine Oma ...“ Gefolgt von der nächsten kalten Dusche: De Niro kommt nun doch nicht. Ich befinde mich im mahlenden Räderwerk der Wahnvernichtung. Aber ich werde beruhigt. Wagner spritzt das Gegenmittel: „... Berlin ist der Star.“
Solange es seine B.Z. gibt, werde ich unheilbar sein. Letztes Jahr stand ich kurz vor der plötzlichen Heilung. Da wollte sich Wagner stilecht vom Dach des Springer-Hochhauses stürzen, weil ihn drinnen keiner liebt. Aber die anwesenden Kollegen sagten einfach: „Spring doch ...“ Das Ende dieses Berliner Festival-Beitrags kennen Sie ...
Ferdinand Kroh
Korrespondent von Radio Z aus Zürich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen