piwik no script img

■ Berlinale-AnthropologieZum Ende der Anfang

Sterzinsky! Keine TV- oder Fotokamera richtete sich auf den weißhaarigen Mann mit Metallrandbrille, im schwarzen Anzug und Hemd, lesbar dank dem dog collar des katholischen Priesters. Er blickte sich irritiert um, wie mir schien, weil man ihn übersah. Wäre er in Amtstracht erschienen, im lila Ornat des Kardinals, gierig hätte der Haufe der Kameraleute ihn umstellt: Sogar der Kardinal von Berlin kommt zur Eröffnung der Berlinale durch „Sinn und Sinnlichkeit“.

Wahrscheinlich schreiben strenge Kleiderregeln vor, wenn Kardinal Sterzinsky als solcher auftritt – daß jetzt der Regierende Bürgermeister auftritt, muß dir dein Gesichtssinn sagen, du mußt wissen, wie Diepgen ausschaut, keine Amtskette verrät ihn. Und das Frauchen an seiner Seite wird erkennbar dank des dem seinen parallelen Offiziallächelns („Frau Diepgen!“, lästert K., „die ist doch vom Genre ,Gefährlicher Pudding'.“)

Die neuen Senatoren Radunski und Strieder dagegen betreten den Zoo-Palast kameramäßig so unbehelligt wie der Kardinal. Kein Redakteur mit eidetischem Gedächtnis leitet die Kameraleute; wenn sie sich nicht an der Bekanntheit der Gesichter orientieren – „mit dem Jürgen Prochnow hab ich mal gedreht“ – dann an einer gewissen Verwirbelung unter ihresgleichen. Sie entsteht, wenn ein hinreichend Verdächtiger unten an der Hardenbergstraße – vom Elefantentor des Zoo an für Normalautos gesperrt – die Karrosse entsteigt und über den roten Teppich lächelnd heranschreitet.

„Wer war denn das?“ Ein graublonder Herrenmensch mit sieghaft gerecktem Kinn. „Das war der Innenminister Kanther.“ Einer seiner Gorillas verpaßte mir einen Puff, aus dem ich hier weiter nichts machen will. Vielleicht hielt er mich für im Wege stehend, weil ich unseren Herren Innenminister bloß mit der kleinen (freilich sündhaft teuren) Contax ablichtete, statt mit der arbeitsmäßig prunkenden Nikon („irgend so'n promigeiler Normalbürger“). – Daß der Regisseur fehlte, respektive ein gutes Gesichtergedächtnis der Kameraleute, verschaffte dann manch hinreichend Unbekanntem beglückend viel Aufmerksamkeit, die er auch strahlend akzeptierte.

Das käseblasse Mutzelkarlinchen an meiner Seite litt schwer darunter, daß es bloß zum Personal zählte (Kamera-Assistentin, schätze ich mal). Nur der antizipierte Ruhm der Zunft hielt sie an ihrem Platz: Eigentlich sei sie ja Sängerin, vertraute sie mir an, der Gruppe Keine Ahnung. Und neulich nach der Premierenfeier habe ihr der Till seinen Mantel geschenkt...

Welcher Till?

Na, der Till Schweiger, nach der Premiere von „Männerpension“, ein sauteurer Mantel, tausend Mark.

Sieht man's dem Mantel wenigstens an?

Doch, schon, einer aus Kaschmir („Cashmere“); nicht etwa dieser hier! (Einer dieser Wildledermäntel mit gelblichem Zottelpelz innen, den ich dem Kleidergenre „Sarajewo“ zuschlage; in dasselbe gehören auch Hemden in Schwarz oder Schmutzfarben mit ganz grob in weiß gesäumten Rändern.)

Das arme Kind. Kokett in Till Schweigers Wintermantel aus Kaschmirwolle („Cashmere“) gehüllt mußte sie sich den roten Teppich heruntertrippeln sehen, von den Kameramännern umwirbelt; sonst hätte ihr der Ehrgeiz die Eingeweide zerfressen. Der Zaubermantel lindert's.

Mit dem Wirbel hat's wirklich eine seltsame Bewandtnis. Nicht nur, daß er zuweilen allzu frenetisch Vadim Glowna umtobt oder Volker Schlöndorff: Wenn er besonders dicht sich gestaltet dort unten am Ausstieg an der Hardenbergstraße, wenn er das Objekt der Begierde undurchdringlich umstellt, dann können wir hier oben vollkommen sicher sein, daß eine wahrhafte Hauptperson eintraf, Emma Thompson oder Jodie Foster oder John travolta. Da kannst du sicher sein, wenn's um die Hauptsache geht, ist sie unsichtbar.

So habe ich zwar Elia Kazan einigermaßen abgelichtet und Joachim Sartorius ausgezeichnet; niemand verstellte mir Heinz Badewitz, den Fanatiker aus Hof, der eine meiner Lieblingstheorien bekräftigte: alle Menschen lassen sich in Erich Kästners „Emil und die Detektive“ unterbringen, Heinz Badewitz ist der kleine Dienstag. Auch Moritz de Hadeln im Smoking, mit weißer Hemdbrust, bot keine Schwierigkeit.

Aber Emma Thompson oder John Travolta – sie kamen selbstverständlich als letzte – das Foto zeigt nur den Haufen Kameraleute, der sie umstellt. Michael Rutschky

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen