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■ Berlin steht in der PflichtTaten und Zeichen

Der Regierende Bürgermeister Diepgen ist auf Auslandsreise in Warschau. Das ist eine Erklärung, warum es noch keine Stellungnahme zu den Solinger Morden gab; befriedigen kann sie nicht. Es gab andere Auslandsreisen, wo sich Diepgen aus der Ferne zu aktuellen Ereignissen äußerte. Auch dies muß die 137.000 türkischen Berliner, die hier teilweise seit Jahrzehnten leben, befremden. Der Chef eines Bundeslands mit zehn Prozent ausländischen Menschen steht eben in einer besonderen Verpflichtung, zu klaren Worten gegen Ausländerhaß zu finden – und zu Taten auch. Wenn der Senat schweigt und stille bleibt, dann droht langfristig auch in Berlin ein friedliches Zusammenleben zu scheitern. Selbstverständlich ist jetzt der Zeitpunkt, wo es vor allem um Konsequenzen und um konkrete Politik für die türkischen Berliner gehen muß. Die Zeit der Worte ist vorbei. Selbst wenn der Senat gerade vor wenigen Monaten mit seinem Vorstoß auf doppelte Staatsbürgerschaft vor dem Bundesrat kapitulierte – jetzt muß Berlin diese Auseinandersetzung in den Bundestag tragen. Das Recht eines Länderchefs wahrzunehmen, jederzeit im Bundestag sprechen zu können und dort für die doppelte Staatsbürgerschaft einzutreten, ist der Regierende Bürgermeister den türkischen Berlinern schuldig.

Aber kann das alles sein? Es darf nicht allein Sache der türkischen Bevölkerung sein, auf die Straße zu gehen, um ihre Toten zu trauern und selbstverständliche Bürgerrechte und Schutz zu fordern: Vor allem sind die Deutschen in der Verantwortung. Wer – richtigerweise – jetzt Politiker zum Handeln auffordert, darf darüber nicht vergessen, individuell einzustehen für ein gemeinsames Leben mit Ausländern: Konkrete Politik und symbolische Gesten sind deshalb kein Gegensatz, sie gehören zusammen. Solidarität zu zeigen tut not. Was hindert den Senat daran, morgen die Trauerfeiern von Solingen und Köln mit Bildwänden auf dem Platz vor dem Roten Rathaus zu übertragen, damit türkische und deutsche Berliner gemeinsam trauern können: Die Gewerkschaften sind aufgerufen, mit den Unternehmen um Freistunden zu verhandeln; der Schulsenator, den Klassen freizugeben; die Parteien, ihre Mitglieder zu mobiliseren. In Berlin, das muß den Brandstiftern klar gemacht werden, leben alle unter einem Dach. Gerd Nowakowski

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