■ Berlin ist nicht Magdeburg: Dennoch schließen Bündnisgrüne eine PDS-Tolerierung nicht aus: Die teure Wackelpudding-Nummer
Fünf Jahre Große Koalition in Berlin könnten am 22. Oktober vorbei sein. Wäre am letzten März-Sonntag gewählt worden, Sozialdemokraten und Bündnisgrüne hätten gleichviel Stimmen erhalten wie CDU und PDS. Den Strategen eines rot-grünen Bündnisses könnte keine bessere Prognose recht sein, sind so doch die meisten Wähler zu mobilisieren – und ist die Chance auf Sieg am größten. Doch ein halbes Jahr vor der Wahl will in der Hauptstadt aber auch gar keine Stimmung für einen Wechsel aufkommen. Die bislang blasse Spitzenkandidatin der SPD, Ingrid Stahmer, verweigert bequem jede Koalitionsaussage. Und die Grünen finden keine Position zur PDS und machen es der SPD dadurch erst recht schwer, da diese nach dem 22. Oktober in keinem Fall eine Minderheitsregierung unter postkommunistischer Gnade bilden will. Berlin ist eben nicht Magdeburg.
Nun will seit der Landesdelegiertenversammlung vom Wochenende eine schwache Mehrheit der Berliner Grünen auch noch amtlich offenhalten, ob sie sich von der PDS tolerieren lassen wollen oder nicht. Ein entsprechender Antrag verfehlte zwar die nötigen 60 Prozent der Stimmen knapp, machte den Politpudding dadurch aber nur noch wackeliger. Lange vor dem Wahlabend bewiesen die Landesdelegierten wenig Sachverstand und Selbstbewußtsein. Denn wer an den Sieg am Wahlsonntag glaubt, der braucht kein Hintertürchen mit Namen Tolerierung. Im Gegenteil: Wer ein Türchen offenhält, braucht an Sieg nicht mehr zu denken. Das Signal vom Wochenende bedeutet für schwankende PDS-Wähler doch nun, ohne jedes Risiko für die regionale Ostpartei stimmen zu können. Denn wann hätte die PDS, die nicht regieren will, schon mehr Einfluß als unter einer rot-grünen Minderheitsregierung?
Die Grünen erreichen auch in einem anderen Punkt das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen: Die PDS-Debatte aus dem Wahlkampf heraushalten und statt dessen „Inhalte“ transportieren. Wer sich nicht klar zu seinen Vorstellungen nach der Wahl äußert, wird sich vorher um so häufiger fragen müssen, ob er sich denn trotz eines „Sahra-Wagenknecht-Beschlusses“ oder einer neu aufgetauchten Stasi-Akte über einen PDS-Funktionär tolerieren lassen wolle. Das ist der Stoff, aus dem die Westberliner CDU die Wolle für ihre „rote Socken“-Kampagne spinnen will.
Natürlich wäre es irgendwie nicht schlecht, wenn die Große Koalition gehen müßte. Ausgerechnet die Parteilinken, die bei der ersten Berliner rot-grünen Koalition 1989 vor zu vielen Kompromissen warnten, erwecken diesmal allerdings den Eindruck, um jeden Preis an die Macht zu wollen. Wenn das Wochenende der Start für den Wahlkampf war, dann laufen die Bündnisgrünen jedoch in die falsche Richtung. Dirk Wildt
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