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Berlin ist nicht Fulda

Der Katholikentag, Sex - und die Hauptstadt  ■ K O M M E N T A R

Sex - ist das erste, was einem zum Thema katholische Kirche einfällt. Und dieser Tage nun, da mehr als 100.000 AnhängerInnen dieser weltweiten Großorganisation Busse, U -Bahnen und Innenstadt bevölkern, kommt man aus dem Sinnieren darüber gar nicht mehr heraus. Wer nicht sofort cool den ob der fröhlichen Provinzler gestreßten Metropolenbürger und notorischen linken Christenfresser herauskehrt, sondern sich mit den Gästen beschäftigt, fragt sich: Machen's die alle - ona-nie - ohne Pille und Gummi? Und nur mit einem Partner (vom anderen Geschlecht!), lebenslänglich und mit der Aussicht auf so viele Kinderchen wie der Herrgott schenkt? Und: Glauben die alle an die Höherwertigkeit des Mannes, an die Keuschheit ihrer Priester und die Moral frauenverdammender, kirchenglockenläutender Bischöfe? Was ist mit all den in Lieblosigkeit, in Schuldgefühlen und am Dogma ruinierten Kindheiten, Ehen, Lebensjahrzehnten? Und: Wie stehen sie zum Kondomverbot für aidsinfizierte Liebende? Wie zum furchtbaren Fruchtbarkeitsgebot für an Hunger Verreckende in Afrika?

All dies ist kein Grund zur Anfeindung oder zum Belächeln der KatholikentagbesucherInnen, von denen die wenigsten ja wie in ihren Roben versauerte Altkardinäle wirken. Grund genug aber schon, dem Massenspektakel nicht gleichgültig gegenüberzustehen. Das Mammutprogramm birgt zwar auch den verzweifelten Versuch vieler TeilnehmerInnen, ihre Amtskirche doch noch dem Mittelalter zu entreißen. Es ist aber in erster Linie eben doch ein Versuch der Spitze, jener absolut undemokratischen Organisation, Demokratie zu spielen: Eine Glasnost-Farce, die wohl dennoch manche Spitzenkader aus dem Politbüro des Seelen-Multis schlecht schlafen läßt...

Eigentlich Grund genug für alle, den Katholikentag in dieser traditionell aufmüpfigen Stadt als Anlaß und riesige Bühne für lautesten Protest zu begreifen. Ob Berlin nun Hauptstadt wird oder nicht, ist mittlerweile nicht mehr zu diskutieren. Wer sich hier traut, sollte - anders als in Fulda oder Passau - antworten müssen. Ein ganz neues, anderes Berlin wäre die unbequeme, störrische Hauptstadt. Eine Stadt, die sich als Dauerbühne begreift und mit kritischen Fragen ihren „Gästen“ - von Weltbank über Kohl bis Daimler - ein ganz eigenes Metropolenerlebnis beschert.

Thomas Kuppinger

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