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Berlin: Freispruch im „Steinwerfer–Prozeß“

■ Erster Freispruch in Krawallprozeß / Polizisten widersprachen sich / Angeklagter bekommt Haftentschädigung

Aus Berlin Plutonia Plarre

Drei Verhandlungstage hatte das zähe Ringen um die Aufklärung der Vorwürfe des schweren Landfriedensbruchs gedauert, dann war gestern endlich der erste Freispruch in einem Kreuzberger Krawallprozeß fällig. Der 18jährige Schüler Ulf A. aus Schleswig– Holstein, der anläßlich der Demo gegen den Besuch des US–Präsidenten Reagan nach Berlin gereist war, hatte von Anfang an bestritten, am Abend des 11. Juni in Kreuzberg zwei Steine auf eine Polizeikette geworfen zu haben. Nach der Vernehmung zahlreicher Polizeizeugen, die vor Widersprüchen nur so strotzten, war selbst der Staatsanwalt nicht umhingekommen, auf Freispruch zu plädieren. Im Gegensatz zum Anklagevertreter befand das Gericht jedoch, daß Ulf A. für seine siebenwöchige Untersuchungshaft entschädigt werden müsse. Ulf A. sagte vor Gericht, er habe keine Steine geworfen, er verabscheue Gewalt. Acht von der Verteidigung ausfindig gemachte Entlastungszeugen bestätigten unter Eid, daß zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes vor dem Pinox überhaupt keine Steine geflogen seien. Die Polizisten, mit Ausnahme eines Bereitschaftsführers, behaupteten hingegen steif und fest, ein Steinhagel sei auf sie eingeprasselt. Die Klärung dieser Frage war im Verlaufe des Prozesses jedoch nicht mehr vonnöten, weil sich bei der Vernehmung der unmittelbaren Belastungszeugen viel entscheidendere Widersprüche auftaten. Die Aussagen der drei Belastungszeugen hatten nur eines gemein: Allesamt erkannten sie den Angeklagten als den besagten Steinewerfer wieder, konnten aber nicht sagen, mit welcher Hand er warf. Zwei Beamte behaupteten, der Angeklagte sei vermummt gewesen, der dritte hatte jedoch kein Tuch vor dem Gesicht gesehen. Bei der Frage nach dem Fluchtweg waren sich die Zeugen dann gänzlich uneins: Mal schräg, mal rückwärts, mal mitten in die Menge, mal am Rande war der Steinewerfer ihnen zufolge davon gerannt. Am merkwürdigsten war jedoch, daß keiner der Beamten wußte, wie ein Stein zu der beschlagnahmten Habe des Angeklagten gekommen war.

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