■ Berlin 2000: Die Sicherheit ist gewährleistet: The games must go on
Wir schreiben den 17. Juli des Jahres 2000. Die ersten Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele sind in Berlin eingetroffen. Während am Flughafen eine mit Transparenten und Sprechchören schwer bewaffnete Gruppe von Demonstranten vergeblich auf die Sportlerinnen und Sportler wartet, springen diese bereits 30 Kilometer vor Berlin mit dem Fallschirm ab, werden von einer Eliteeinheit des Bundesgrenzschutzes in Empfang genommen und mit verbundenen Augen durch die Kanalisation in das hermetisch abgeriegelte olympische Dorf an der Rummelsburger Bucht geschleust.
20. Juli: Die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind, als Olympiabären verkleidet, unbemerkt in die Stadt gelangt und haben ihre Unterkunft im alten, mit Luxusappartements ausgestatteten Führerbunker am Potsdamer Platz bezogen. Am Abend gibt es einen peinlichen Zwischenfall. Organisationschef Eberhard Diepgen hat den Schlüssel zum hermetisch abgeriegelten Domizil der Olympier verbaselt, und als das gute Stück zwei Tage später wiederauftaucht, ist es für einige der hohen Herren zu spät. Ein gutes Drittel der Delegation ist an akutem Champagnermangel zugrunde gegangen.
22. Juli: Trotz der bedauerlichen Zwischenfälle ist die Eröffnungsfeier ein voller Erfolg. Selbst die Berliner Bevölkerung, die wegen olympischer Unzuverlässigkeit vorsorglich auf der Insel Helgoland interniert worden ist und das Fest auf einer großen Leinwand miterleben darf, zeigt sich begeistert, als IOC-Präsident Samaranch in seinem gepanzerten Rollstuhl die Spiele eröffnet.
29. Juli: Nachdem im Spreewald die letzten Olympiagegner von einer Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes erlegt worden sind, läuft alles bestens. Die Weltpresse spricht begeistert von rauschenden Spielen, da kommt es beim 100-Meter-Lauf doch noch zum Eklat. Kaum ist der Startschuß gefallen, beginnt die Leibgarde Samaranchs wild zurückzuschießen. Starke Einheiten der Bundeswehr erwidern das Feuer, zu den ersten Opfern zählen neben dem Starter und Topfavoriten Linford Christie (40) Italiens Staatschef Primo Nebiolo und der deutsche Bundespräsident Helmut Kohl, der mit einem ungewohnt eleganten „Hoppla“ auf den Lippen von der politischen Bühne abtritt. Während ein Spezialtrupp der GSG 9 noch damit beschäftigt ist, mit aufgesetzten Kopfschüssen die Gegengerade zu dezimieren, und Carl Lewis (39) weitgehend unbeachtet die 100 Meter gewinnt, erstickt Juan Antonio Samaranch an seiner kugelsicheren Weste. Noch mit seinem letzten Atemzug erweist er sich einmal mehr als größter Olympiafürst der Neuzeit und stammelt exklusiv ins Mikrofon der NBC: „The games must go on.“ Matti Lieske
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