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Reisen in die Zivilgesellschaft

Berlin Programm im April

vom 11. bis zum 14. Mai 2016 (fällt leider aus)

Berlin Mitte © visitberlin Bild: Wolfgang Scholvien

1. Tag (Mittwoch)

Der erste Tag beginnt um 9.30 Uhr mit einer kurzen Einführung im taz Café in der Rudi-Dutschke Straße in Kreuzberg.

"Geteilte Stadt" - Auftakt in Kreuzberg und Mitte

Nach der Begrüßung und einer kleinen Vorstellungsrunde geht es auch gleich los zum ersten Programmpunkt, einem Rundgang zum Thema „Geteilte Stadt“. Taz-Berlin-Redakteur Uwe Rada führt Sie zu Fuß vom Checkpoint Charlie zu den Resten der Berliner Mauer am Martin-Gropius-Bau und weiter über den Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor – durch das ehemaligen Grenzgebiet zwischen Ost und West-Berlin. Nach einer individuellen Mittagspause geht es am Nachmittag nach Neukölln.

Nachmittag in Neukölln: Einwanderung und Integration

In Neukölln leben Menschen aus über 190 Herkunftsländern. Davon, dass der Bezirk nicht erst seit gestern „multikulti“ ist, zeugt das Böhmische Dorf, Kern des alten Neukölln. Dort beginnt die Tour mit taz-Berlin Redakteurin Alke Wierth über Geschichte und Gegenwart des Einwanderer-Bezirks.

Vom böhmischen geht’s ins orientalische Neukölln: An der Sonnenallee – von arabischen NeuköllnerInnen liebevoll Abu-Ali-Straße, von manchen Deutschen weniger liebevoll Gazastreifen genannt - bestimmen EinwanderInnen aus der Türkei und arabischen Ländern das Bild. Beim Bummel über die Geschäftsmeile berichten uns junge NeuköllnerInnen vom Alltag in dem Stadtteil und den Geschichten ihrer Familien. Die Jugendlichen werden von Streetworkern des Trägers „Outreach“  betreut und werden etwas zur Einwanderungsgeschichte ihrer eigenen Familien, ihrem  Selbstbild, ihren Erfahrungen mit Integration, Vorurteilen und Stereotypisierungen erzählen. Und natürlich werden sie auf einem Stadtrundgang auch etwas von „ihrem“ Neukölln zeigen.

Zum Abschluss kann in einem Café oder einer Shisha-Bar auf der Sonnenallee über die Eindrücke des Nachmittags gesprochen werden.

Ausklingen wird dieser erste Tag in einem Kreuzberger Restaurant, mit einem gemeinsamen Abendessen, bei dem Sie mit verschiedenen taz-MitarbeiterIzlern ins Gespräch kommen können.

2. Tag (Donnerstag)

Neue Alternativen: Co-Working und Stadtgarten in Kreuzberg

Am Kreuzberger Moritzplatz beginnt der Vormittag im Beta-Haus. Die taz-Autorin und ehemalige taz-Öko-Wirtschaftsredakteurin Annette Jensen wird Sie an diesem Vormittag begleiten. Das Beta-Haus ist einer der bekanntesten Co-Working-Spaces in Berlin, ein Ort, an dem Freiberufler Werkstätten, Büros und Arbeitsplätze gemeinschaftlich nutzen und der als Treffpunkt der Berliner Start-up-Szene gilt. Bei einem kleinen Frühstück stellen einige der hier Arbeitenden sich und ihre Projekte vor.

Gleich um die Ecke befinden sie die Prinzessinnengärten, ein urban-gardening-Projekt, das 2009 auf einer ehemaligen Brache als mobiler Garten entstand und sich seitdem fest als Gemeinschaftsgartenprojekt, Lernort für Kinder und Erwachsene und natürlich als grüne Oase in der Stadt versteht. Auch ein kleines Café ist entstanden, regelmäßig finden Floh- und Staudenmärkte statt. Bei einer kurzen Führung über das Gelände erfahren Sie etwas über die Idee und Geschichte des Projekts und können sich diesen Garten mitten in der Stadt näher ansehen.

Hier, im Café des Beta-Hauses oder in der angrenzenden Oranienstraße gibt es viele Möglichkeiten für eine individuelle Mittagspause.

Muslimisches Leben in Berlin

Wir bleiben auch am Nachmittag noch in Kreuzberg. Auf einem Spaziergang zum Thema Mythos Kreuzberg und muslimisches Berlin begleitet taz-Redakteur Daniel Bax Sie durch den legendären Einwanderer- und Alternativbezirk, der nach dem Mauerfall von der Randlage in West-Berlin in die Mitte der Hauptstadt gerückt ist. Fast ein Drittel der Bewohner von Kreuzberg sind Migranten, die meisten davon türkischer Herkunft, und sie prägen das Bild des Bezirks. Sie sind heute aber auch am stärksten von der Verdrängung bedroht.

Der Spaziergang führt vom Oranienplatz über diverse Nebenstraßen mitten durch das pulsierende Zentrum des Bezirks bis zum Kottbusser Tor. Er zeigt das Besondere der „Kreuzberger Mischung“, die den Bezirk zu einem Touristenmagneten hat werden lassen, und führt die Vielfalt türkisch-muslimischen Lebens in Berlin vor Augen. In Kreuzberg sind gleich mehrere repräsentative Moscheebauten entstanden, aber auch Minderheiten wie Kurden und Aleviten haben sich hier etabliert. Steigende Mieten und der Tourismus, etwa die Umwandlung in Ferienwohnungen, gefährden das bewährte Miteinander jedoch. Ein Besuch bei lokalen Initiativen am Kottbusser Tor zeigt, wie die Anwohner dafür kämpfen, die besondere Mischung ihres Bezirks zu erhalten.

Der Wedding: zwischen Ghettoisierung und Gentrifizierung

Am späten Nachmittag besuchen wir einen weiteren ehemaligen Arbeiterbezirk: den Wedding im Norden Berlins. Unsere Tour streift die verschiedensten Facetten des historischen wie des modernen Wedding. Begleiten wird uns dabei Heiko Werning, u.a. Autor von taz und Titanic sowie Gründungsmitglied der „Brauseboys“, einer Lesebühne, die seit über 13 Jahren allwöchentlich im Bezirk auftritt. Mit seinen Büchern „Mein wunderbarer Wedding“ und „Im wilden Wedding“ ist Werning selbst ein Chronist des Stadtteils.

Der Wedding ist ein Stadtteil der Widersprüche. Immer wieder muss er in den Krisenberichten der Medien als Beispiel für Ghettoisierung, gescheiterte Integration, Brutstätte des Islamismus und No-go-Areas herhalten. Andererseits drängen sich hier junge und kreative Menschen aus aller Welt, hier hat sich noch die berühmte „Berliner Mischung“ erhalten, hier leben Migranten der bundesrepublikanischen Gastarbeiterjahre neben Studierenden aus Spanien, Künstlern aus Warschau und Bierbrauern aus Maryland, hier gibt es noch echt berlinernde Ureinwohner ebenso wie zugezogene Westfalen und frisch angekommene Flüchtlinge. Das Mieten-Niveau steigt, und längst ist auch hier die Furcht vor der Gentrifizierung greifbar.

Dabei ist der Wedding nicht nur einer der buntesten und am wenigsten „touristischen“ Kieze der Innenstadt, sondern er hat auch eine reiche Geschichte. Vor allem als Arbeiterviertel und Wohngebiet von Linken machte er in der Weimarer Republik von sich reden, bis zum „Blutmai“, einer Gewaltorgie gegen kommunistische Demonstranten, der als Katalysator für den Aufstieg der NSDAP gilt. Das Hanns-Eisler-Lied „Roter Wedding“ erinnert daran. Aber auch architektonisch und literarisch hat der Wedding allerhand zu bieten, etwa die Schinkel-Bauten am Leopoldplatz, und schon Theodor Fontane wanderte hier einst entlang und beschwerte sich über den grobschlächtigen Menschenschlag und die Unordnung auf den Straßen. Da hat sich nicht viel geändert seither.

Die Kieztour startet am Gesundbrunnen, einem ehemaligen Kur- und Badeort. Um 1750 entdeckte man hier eine mineralhaltige Quelle. Sogar Königin Luise stattet dem Bad einen Besuch ab. Weiter geht’s auf der quirligen Badstraße, nach dem 2. Weltkrieg eine der bekanntesten Berliner Einkaufsstraßen. An ihrem Ende liegen die ehemaligen Werkstätten der Berliner Verkehrsbetriebe; heute Treffpunkt für Kunst- und Kulturschaffende, denn 2010 wurde hier neben Ausstellungsräumen und Ateliers ein neues Areal für zeitgenössischen Tanz geschaffen: die 'Uferhallen'.

Nur eine Ecke weiter haben Architekten und Künstler den einstigen Produktionsstandort des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Rotaprint zu einem Gewerbehof ExRotaprint entwickelt. Einmalig ist das Nutzungskonzept des Geländes, auf dem sich gleichermaßen Gewerbebetriebe, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen befinden.

Dann machen wir noch einen kurzen Stopp auf dem Leopoldplatz ein, mit Blick auf die von Schinkel entworfene Nazarethkirche. Hier steht das Café Leo, ein mobiler Getränkestand, der von Hüseyin Ünlü betrieben wird, einem der besten Kiezkenner. Leider ist seine Bude dem Bezirksamt ein Dorn im Auge, aber derzeit kämpft eine Bürgerinitiative dafür, dass die Institution hier bleiben kann.

Schließlich ziehen wir weiter durch das „holländische Viertel“, einem charmanten, lebendigen und doch bodenständigen Kiez, wo wir auch am Wohnhaus von Otto und Elise Hampel vorbeikommen, zwei Widerstandskämpfern gegen die Nazis, die im Gefängnis Plötzensee, direkt am Wedding gelegen, ermordet worden sind.

 

Unsere Tour endet dann fast am Urnenfriedhof Seestraße, einer kleinen grünen Oase im Großstadtgewühl, wo sich eine Gedenkstätte für die Opfer des Aufstands vom 13. Juni 1953 ebenso befindet wie das Grab des Kiezdichters Jonny Liesegang, aus dessen Texten wir zum Abschluss noch das ein oder andere Bonbon aus dem Berlin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hören können.

 

Die Tour endet schließlich in den Osramhöfen. Hier wurden einst Glühlampen für das ganze Land gefertigt, heute sind die denkmalgeschützten Hallen die Heimat von Läden, Agenturen, wissenschaftlichen Instituten und des Bühnen-Restaurants La Luz, wo man nicht nur eine gute Pizza bekommt, sondern wo direkt im Anschluss auch die Lesebühne der Brauseboys startet und eine Möglichkeit zu einem sehr berlinspezifischen Kulturerlebnis am Abend bietet (fakultativ)

 

3. Tag (Freitag)

Ein Vormittag in der taz

Der heutige Vormittag beginnt in der taz: Sie können an der morgendlichen Redaktionskonferenz teilnehmen, lernen bei einem geführten Rundgang durchs Haus alle Redaktionsräume der taz kennen, erfahren etwas über die taz-Genossenschaft und lernen die Planungen für den Bau des neuen Redaktionsgebäudes kennen, das Sie sich bei einem kleinen Spaziergang in die benachbarte südliche Friedrichsstraße auch ansehen können.

Das gemeinsame Mittagessen findet heute im taz-Café statt

Der Nachmittag wird literarisch und führt zunächst in eine andere Zeit: wir unternehmen mit der ehemaligen Moskau-Korrespondentin Barbara Kerneck einen literarisch-unterhaltsamen Spaziergang zur „Russische Bohème der 1920er Jahre“ in Schöneberg.

80 Jahre vor Wladimir Kaminer hat es in Berlin schon einmal eine boomende Russenszene gegeben. Um 1922 lebten hier mindestens 250 000 RussInnen. Verarmte Großfürstinnen und  expressive Maler trafen sich auf der Flucht vor Revolution und Bürgerkrieg in Wilmersdorf und Charlottenburg in ihren eigenen Cafés  und im märchenhaften Cabaret „Blauer Vogel“. Weltberühmte Schriftsteller gründeten im Berliner Exil einen geheimnisvollen  „Großen Affenorden“.

Die Führung dauert ca. zwei Stunden. Sie beginnt am U-Bahnhof Viktoria-Luise-Platz und geht über den Prager Platz bis zur Trautenaustraße. An dieser Strecke lagen einst die Wohnungen der beiden bedeutendsten russischen Prosaschriftsteller des 20. Jahrhunderts, Andrej Bely und  Vladimir Nabokov. Der Erfinder von „Lolita“ tat hier seine ersten literarischen Schritte.

Stammkneipe des scharfzüngigen Skandalchronisten Ilja Ehrenburg war die „Prager Diele“ am Prager Platz, um die sich viele Anekdoten ranken. Die schönsten davon erzählen wir Ihnen. Bei einer anschließenden Kaffeerunde in  einem Café können noch offene Fragen geklärt werden.

Anschließend geht es in die Gegenwart. Wir treffen junge Russen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, u.a. beim Verein „Quarteera e.V.“, der russischsprachige homosexuelle Migranten betreut und der Organisation „Idecembrists“, die sich für die Förderung der Demokratie und Menschenrechte in Osteuropa einsetzen.

Der restliche Abend steht Ihnen ab etwa 19 Uhr zur freien Verfügung. Wer mag, kann auch noch mit Barbara Kerneck in einem russischen Restaurant zu Abend essen (fakultativ).

4. Tag (Samstag)

Morgen auf dem Tempelhofer Feld

Der Tag beginnt im Grünen. Naja, fast. Der ehemalige taz-Berlin-Redakteur Rolf Lautenschläger führt Sie über das Tempelhofer Feld – das Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhof und eine der wohl größten unbebauten innerstädtischen Flächen Europas. Seit der Schließung des Flughafen vor acht Jahren haben sich die Berliner das Gelände angeeignet: sie nutzen es als Park und Sportanlage, als Fläche für Stadtgärten und zur Erholung. In den ehemaligen Hangars sind seit Ende 2015 Flüchtlinge untergebracht.

Rolf Lautenschläger wird Ihnen etwas zur Geschichte des Flughafens, aber vor allem auch über die umstrittene Entwicklung des Geländes in den Jahren seit 2008, die „Demokratische Initiative 100% Tempelhofer Feld“ und die Senats-Pläne zur zukünftigen Nutzung erzählen.

Von West nach Ost: mit der Ringbahn in den Prenzlauer Berg

Auf dem S-Bahn-Ring geht es dann zur Schönhauser Allee  im Prenzlauer Berg. Durch diesen Stadtteil mit der dichtesten Zuwanderung von Westbürgern ins ehemalige Berlin-Ost, der zum Symbol für Gentrifizierung wurde, führt taz-Inlands-Redakteurin Simone Schmollack. Sie ist hier geboren und lebt in diesem Kiez, der nach der Wende enorme Veränderungen durchlebte.

Vor der Wende bedeutete Prenzlauer Berg: Bröckelnde Fassaden, Außenklos, im Winter eingefrorene Wasserrohne und Balkons, die einfach abfielen. Aber auch 15 Euro Miete, heimliche Künstlerateliers unter dem Dach und Kneipen, die mal hier, mal dort für einen Abend öffneten.: ein Eldorado für Dissidenten und Künstler wie Katharina Thalbach, Thomas Brasch, Cornelia Schleime, Harald Hauswald. Sie lebten hier zwischen den Kohlenschleppern, Verkäuferinnen und Rotznasen, die im Hinterhof heimlich rauchten. Hier befand sich ein Mittelpunkt der friedlichen Revolution 1989.

Heute ist alles anders. 80 Prozent der Bevölkerung sind ausgetauscht, jetzt wohnen hier vor allem Westdeutsche, aber auch Franzosen, Briten, Spanier und Russen. Sie haben den Kiez schöner gemacht, aber auch gleichförmiger. Gegen 16.30 Uhr endet der Nachmittag mit einem kurzen Abschlussgespräch.

Umstellungen und Änderungen im Detail möglich. Stand: 12. Mai 2016