Berichterstattung über Flüchtlinge: Und Abdul Karim hört zu
Der Journalist Jaafar Abdul Karim spricht mit Geflüchteten statt nur über sie. Populär ist er vor allem in arabischen Ländern.
Für einen Moment knackt seine professionelle Schale. Jaafar Abdul Karim, Reporter der Deutschen Welle, steht mit Kefah Ali Deeb, geflüchteter Kinderbuchautorin aus Syrien (und taz-Autorin), in ihrer neuen Wohnung in Berlin. Die Kamera filmt ihr Gespräch. Ob es jemanden gebe, der ihr nahestehe und im Gefängnis sitze, will Karim wissen. Da wendet Deeb der Kamera den Rücken zu, schluchzt und sagt, sie möchte nicht darüber sprechen. Jaafar Abdul Karim schluckt, guckt ein bisschen hilflos, dann fängt er sich.
Eigentlich ist er solche Situationen mittlerweile gewöhnt. Seit gut einem Jahr berichtet er monatlich in einem Videoblog für Spiegel Online und die Deutsche Welle über Flüchtlinge, besucht Erstaufnahmeeinrichtungen, sendet aus den Flüchtlingslagern auf Lesbos. Für eine RBB-Reportage hat er nun fünf KünstlerInnen in Berlin begleitet. Er fragt nicht mehr, warum sie da sind. Er will wissen, wie sie sich eingelebt haben. „Die Politik und einige Medien sind sehr damit beschäftigt, auf die Unterschiede zwischen deutscher Kultur und den Flüchtlingen hinzuweisen. Aber was soll das bringen?“, fragt Abdul Karim.
Viele Migranten sähen ihn als „einen von ihnen“, sagt er. Geboren ist er in Monrovia, Liberia, aufgewachsen im Libanon und in der Schweiz. Er spricht fließend Arabisch, hat braune Augen, schwarze Haare. Das mache es ihm leichter, mit den Menschen aus der arabischen Welt ins Gespräch zu kommen, sagt er. Man sieht das auch: In vielen Filmsequenzen ist er umgeben von einer Traube von Menschen. Jede und jeder will gehört werden. Und Abdul Karim hört zu.
Als halb Deutschland im Sommer über Frauen in der Burka spricht, ist Jaafar einer der ersten Journalisten, der eine vor die Kamera bekommt. In seinem Videoblog stellt er sie einer Muslimin aus Saudi-Arabien gegenüber, die die Burka abgelegt hat, und lässt sie diskutieren. Am Ende serviert Abdul Karim keine Meinung, kein Richtig oder Falsch. „Es geht mir darum, zu verstehen, warum die Leute denken, was sie denken“, sagt er drei Wochen nach der Sendung. Er sitzt im Café der Deutschen Welle und spricht schnell, fast gehetzt.
Qutenmigrant, na und?
Stört es ihn nicht, dass er in deutschen Medien als der „Flüchtlingsvermittler“ auftritt? Fühlt er sich festgenagelt auf die Themen Migration und Islam? „Überhaupt nicht“, sagt er und wird energisch. „Ich spreche vier Sprachen, komme durch meine eigene Geschichte leicht mit Geflüchteten und Ausländern ins Gespräch – wieso soll ich das nicht nutzen? Wenn jemand meint, ich erfülle damit die Rolle des Quotenmigranten, dann soll er das meinen.“
2001 kam er nach Dresden zum Studieren. Neben dem Studium hat er beim MDR gearbeitet. Der schickte ihn 2006 für eine Reportage in den Libanon, in den Krieg. „Da habe ich gemerkt, dass ich genau das machen will: berichten aus der arabischen Welt.“ Er landete bei der Deutschen Welle, dort entwarf er mit einem Team die Idee des „Shabab Talk“. Shabab ist arabisch und heißt Jugend. Die Sendung soll junge Menschen zusammenbringen, die sonst nicht zusammenkommen. In der ersten Sendung 2011 standen sich ein Mitglied der Jungen Union und eines der Muslimbrüder gegenüber. Ihre Diskussion wurde hitzig, aber genau das ist es, was Abdul Karim will. „Viele Zuschauer erwarten von so einer Sendung, dass da nur Experten sprechen: Politiker, Wissenschaftler, Philosophen. Aber jeder ist Mitglied der Gesellschaft. Also soll auch jeder sprechen können.“
Viele Migranten sähen ihn als „einen von ihnen“, sagt Karim
„Shabab Talk“ diskutiert die Themen, die viele staatliche Nachrichtensender in der arabischen Welt nicht anfassen: Warum gibt es keine weiblichen Imame? Wie lebt es sich als Homosexueller in der arabischen Welt? Wie viel Macht hat die Jugend in diesen Ländern? Die Sendung wird schnell ein Erfolg in der arabischen Welt. Rund vier Millionen Menschen sehen sie wöchentlich. Allein in diesem Jahr hat das arabische Programm der Deutschen Welle seine Reichweite um rund 50 Prozent gesteigert – auch dank Karims Popularität.
„Shabab Talk“ vor Ort
Seit gut einem Jahr tourt die Sendung durch arabische Länder. Einmal im Monat sendet Abdul Karim von vor Ort, zuletzt aus den kurdischen Gebieten im Nordirak, in zwei Wochen aus Beirut, dann Bagdad und Kuwait. Abdul Karim ist in diesen Ländern mittlerweile bekannt. Das zeigt sich auch in den sozialen Netzwerken: Herzen und Likes bekommt er fast nur von arabischsprachigen Usern.
Trotzdem ist „Shabab Talk“ nicht unumstritten: „Nach unserer Sendung über weibliche Imame haben uns viele wütende Zuschauer geschrieben, wir hätten die Regeln des Koran in Frage gestellt. Weibliche Imame seien nun mal nicht vorgesehen, und das dürfe man nicht hinterfragen.“ Nach diesen Mails, sagt Abdul Karim, wusste er, dass die Sendung das richtige Thema angesprochen hatte. Dennoch: „Die Mentalität dieser Diskussionskultur kenne ich aus den arabischen Ländern. Da gibt es nur: Entweder du bist für eine Sache oder gegen sie. Als neutraler Journalist bist du für sie schon Gegner.“
Abdul Karim ist es wichtig, Distanz zu wahren. Neben seinem Wohnhaus in Berlin ist eine Flüchtlingsunterkunft. Er war als Journalist einmal drin, als Privatperson würde er das nicht machen. Da ist er sich seiner professionellen Schale ganz sicher.
Leser*innenkommentare
Lowandorder
Danke. Feines Interview.
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