Bergwelt War der Historiker wirklich der Mörder? Gerhard Jäger erzählt in seinem Debüt vom Lawinenwinter 1951 in den Alpen: Der alte Mann und der Tod
Ein alter Mann besucht die ehemalige Heimat: Der achtzigjährige John Miller fliegt aus den USA nach Innsbruck, um im Landesarchiv einem Fall nachzugehen, der ihm keine Ruhe lässt.
Fünfzig Jahre zuvor ist ein junger Mann in den Bergen verschwunden, ein Cousin von ihm, ein Historiker mit dem sprechenden Namen Max Schreiber. Dieser hatte sich zu Beginn der fünfziger Jahre in die Berge Tirols aufgemacht, um in einem abgelegenen Dorf eine alte Geschichte zu recherchieren, die sich nur zwei Generationen zuvor zugetragen hatte: den rätselhaften Feuertod einer als Hexe verschrienen Frau.
Es ist der Lawinenwinter 1951, in dem in den Alpen mehrere Hundert Menschen im Schnee umkamen. Während Schreiber in den Bergen lebt, kommt es, als die Menschen noch mit der Naturkatastrophe kämpfen, im Dorf zu einer ungeklärten Bluttat. Anschließend ist der Historiker verschwunden. Aber war er wirklich ein Mörder, wie damals viele glaubten?
Im Landesarchiv liest der alte John Miller das unvollendete Manuskript eines Romans, den Max Schreiber zurückgelassen hat und in dem sich die damaligen Ereignisse spiegeln. Und während der Amerikaner lesend in die fünfziger Jahre eintaucht, kommen andere Erinnerungen in ihm hoch, an seine Frau Rosalind und ihren Feuertod zwölf Jahre zuvor …
Gerhard Jäger erzählt parallel auf zwei Zeitebenen, deren eine durch das alte Manuskript bestimmt wird, die andere durch die Ich-Erzählung des John Miller, der in seiner Erinnerung das gemeinsame Leben mit seiner amerikanischen Frau rekapituliert, über dessen Vorleben in Europa man jedoch gar nichts erfährt.
Das ist natürlich ein reichlich hanebüchener Erzähltrick. Aber so durchschaubar dieses Romandebüt in seiner Gesamtanlage ist, und obwohl er zur Überverdeutlichung und ein wenig zur Geschwätzigkeit tendiert, hat Gerhard Jägers Roman doch auch große Stärken.
Er zeichnet ein stimmiges Bild der Atmosphäre in den fünfziger Jahren, als die Anwesenheit eines Fremden in einem Tiroler Bergdorf noch eine Seltenheit war. Die Schilderung einer spannungsreichen, verhängnisvollen Dreiecksbeziehung gelingt ihm ebenso wie die geschickte Verschränkung der Zeitebenen durch symbolische Querbezüge beider Erzählungen. Und so kann man sich getrost diesem gleichmäßigen Erzählstrom überlassen, der wahrscheinlich lieber eine Lawine wäre, aber als langer, ruhiger Fluss auch ziemlich gut funktioniert.
Auch wenn man von Beginn an schon ahnen mag, wohin er einen tragen wird. Katharina Granzin
Gerhard Jäger: „Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod“. Karl Blessing Verlag, München 2016. 400 Seiten, 22,99 Euro
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