: Berauschend sinnliche Qualität
FILMFESTIVAL Die Grazer Diagonale stellte das Werk des Experimentalfilmers Peter Tscherkassky vor, der mit geringen Fördermitteln große Wirkung zu erzielen vermag
VON SVEN VON REDEN
Als ineffizient, undurchsichtig und bürokratisch bezeichnete der österreichische Bundesrechnungshof vor ein paar Wochen die heimische Filmförderung. Besonders kritisiert wurde eine Vermengung der Interessen bei den beiden größten Filmförderern im Land, dem Österreichischen Filminstitut und dem Filmfonds Wien, in deren Aufsichtsorganen Vertreter der Filmwirtschaft sitzen. Aus deutscher Perspektive überrascht die harsche Kritik, schließlich gilt hier der südliche Nachbar mit seinen Oscar-, Golden-Globes- und Palmenerfolgen der letzten Jahre als Wunderland gelungener Filmpolitik.
Auf der Grazer Diagonale, der jährlichen Leistungsschau des österreichischen Films, war Film- und Förderpolitik dieses Jahr nicht nur auf einer Podiumsdiskussion, sondern auch in vielen Gesprächen Thema. Währenddessen führte im Programm des Festivals eine Werkschau mit Filmen des österreichischen Experimentalfilmers Peter Tscherkassky auf das Schönste vor Augen, wie man mit geringen Fördermitteln sehr große Wirkung erzielen kann.
37.000 Euro hat Tscherkasskys letztes Werk, „Coming Attractions“, gekostet, ein Spottpreis für einen 25-Minuten-Film auf 35 mm. Vor allem: Kein kommerzieller Spielfilm dürfte solch eine Erfolgsbilanz vorweisen wie Tscherkasskys Werke, setzt man Zuschauer, Festivaleinsätze und -preise zu jedem eingesetzten Euro in Relation. Auf über 100 Festivaleinsätze kommen sie gewöhnlich und gewinnen zahlreiche Auszeichnungen, „Coming Attractions“ etwa den Kurzfilmpreis der Filmfestspiele von Venedig. Auch in Graz waren alle Tscherkassky-Vorstellungen gut besucht, selbst zur Mittagszeit, während draußen die erste Frühlingssonne verführerisch zum Flanieren einlud.
Was die Filme des Wieners zu Publikumslieblingen im Experimentalkino macht, ist ihre geradezu berauschend sinnliche Qualität. Tscherkassky arbeitet ausschließlich auf analogem Filmmaterial, das er in der Dunkelkammer in vielen Arbeitsschritten selber belichtet.
Höhepunkt der Grazer Veranstaltung war eine Lecture, in der er den Entstehungsprozess seines Films „Instructions for a Light and Sound Machine“ (2005) minutiös nachzeichnete. Grundlage des 17-minütigen Werks, an dem er mehr als ein Jahr arbeitete, war eine verkratzte Kopie von Sergio Leones Film „Zwei glorreiche Halunken“. Er arrangierte die Geschichte um und bearbeitete Kader für Kader per Hand. Kleinste Bereiche belichtete er dabei mit einem Laserpointer, Schritt für Schritt entstanden so Bilder oder vielmehr Lichtcollagen von höchster Komplexität.
Der „Plot“ von „Instructions for a Light and Sound Machine“ ist einfach. Die im Originalfilm von Eli Wallach gespielte Figur wird scheint’s ohne besonderen Grund gehängt. Fortan findet sich der Held in einem ganz wörtlich zu nehmenden Schattenreich, aus dem er nicht entfliehen kann. Dabei wird der Protagonist immer wieder mit dem Filmmaterial selbst konfrontiert. Bildstrich, Perforation und Tonspur bedrängen ihn, Testbilder und Markierungen für das Kopierwerk und den Vorführer kreuzen seinen Weg, die gewöhnlich Farbjustierung und Scharfstellen ermöglichen, Anfang und Ende der Filmrollen anzeigen usw. – „Anweisungen für eine Licht- und Tonmaschine“ eben.
In seinem Werk konfrontiert der 52-Jährige seine Protagonisten immer wieder mit dem, was den Kinozuschauern gewöhnlich verborgen bleibt, um ihnen nicht die Illusion von einem transparenten Filmfenster zur Welt zu zerstören. Diese selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Material steht in einer langen Tradition avantgardistischen Filmemachens, mit dessen Geschichte der Philosoph, der über das Thema „Film und Kunst – Zu einer kritischen Ästhetik der Kinematografie“ promovierte, bestens vertraut ist.
In einem von ihm zusammengestellten Filmprogramm gab er Gelegenheit, die Genealogie seiner Ästhetik nachzuvollziehen. Es spannte hier den Bogen von den frühen Filmen der Brüder Lumière und des ehemaligen Zauberkünstlers George Méliès bis zur österreichischen und amerikanischen Filmavantgarde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (Peter Kubelka, Bruce Connor, Pat O’Neill).
Tscherkassky sieht sich ganz emphatisch als Fackelträger dieser filmischen Moderne und ihres inhärenten Innovationsanspruchs. Mit seiner direkten Arbeit am Material in der Dunkelkammer entkommt er tatsächlich bis zu einem gewissen Grad den Spiegelhallen der Postmoderne. Statt zu zitieren, arbeitet er sich virtuos immer wieder an den „Bedingungen der Möglichkeit“ des Kinos ab.
Dennoch stellt sich natürlich die Frage, inwiefern mit dem Verschwinden analogen Filmmaterials solche Grundlagenforschung an Relevanz verliert. Der ungewissen Perspektive seines Unterfangens ist er sich natürlich bewusst. Nur leicht scherzhaft bezeichnete er sich in Graz als „Don Quichotte des analogen Filmbildes“.