Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Zärtliche Verschiebung
Ich zitiere aus dem Promo-Zettel: „Marc Richter ist einer der umtriebigsten Akteure in der experimentellen Musikszene Hamburgs. Unter dem Projektnamen Black To Comm produziert er kunstvolle Musik zwischen Ambient, Drone und zeitgenössischer Komposition und hat sich damit eine weltweite Fangemeinde erspielt.“ Die letzten beiden Black-To-Comm-Alben sind auf dem, Zitat, „Chicagoer Qualitätslabel Thrill Jockey“ erschienen. Das ist alles korrekt so.
Jetzt die Frage: Wie klingt diese Musik? Ich erkläre es über einen Umweg: In den Siebzigerjahren entdeckte das Horrorgenre Atonalität und Krach. Musik und Klang sollten nun nicht mehr unterschwellig-unheimliche Szenarien untermalen, sondern denkbar drastische, unangenehme Bilder intensivieren – Knochen brechen, Töchter, die auf Priester kotzen, Menschenfleisch und so weiter, es war nicht schön.
Die Musik unter den Bildern: Fieses Geschabe und Gerumpel, das den Zuschauer ungeheuer stresst, bis er irgendwann kapituliert und denkt, ja, eine Welt, in der solche Töne nicht nur denkbar, sondern folgerichtig sind, die macht es vielleicht wirklich nicht mehr lange.
Black To Comms jüngstes Album „Seven Horses for Seven Kings“ klingt wie die Musik zu einem Horrorfilm, der wäre wie das, was man sich mit übervollem Magen so zusammenträumt. Marc Richter kreiert einen fordernden Ambient, der an den Nerven zerrt und den Raum komplett füllt.
Intensität entsteht hier nicht mittels Haudruff, sondern durch eine geradezu zärtlich anmutende Verschiebung der Töne ins Dissonante bis Atonale. Statische Orgelwände, Schaben, Kratzen, verfremdete Schreie, Rumpeln, ein Jazz-Saxofon, ein bekiffter Trommler, etwas, das klingt wie ein sich frei drehender Drillbohrer: In einer Gegend, die so ist, wie diese Musik klingt, wäre man wahrscheinlich sehr bald tot.
Trotzdem ist in dieser Organisation von Geräuschen Witz und Schönheit enthalten. „Seven Horses for Seven Kings“ klingt nie brachial, sondern immer fein gewebt.
Marc Richter kennt die Kraft von Gegensätzen. Das letzte Stück beispielsweise, „The Courtesan Jigokudayū Sees Herself as a Skeleton in the Mirror of Hell“, verbreitet sich in trostspendender Absicht im Raum. Die Trompete der Apokalypse, sie wird auf diesem Album geblasen von einem 50 Meter großen Fliegenpilz.
Black To Comm spielen beim Jubiläumskonzert zu 15 Jahre Sissi & Die Chinesische Wäscherei neben Thor & Friends und Simon Goff, 19. 4., 21 Uhr, Friese
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