Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Man verneigt sich vor niemandem
Seine Haupteinflüsse seien Bugs Bunny und Boris Karloff, hat Eugene Chadbourne einmal erklärt. Die meisten Leute würden denken, er mache einen Witz, aber so sei es halt. Überhaupt meint man auf den ersten Blick, der Mann würde, bei aller Virtuosität, vor allem rumjuxen. Ein Irrtum, auch wenn die Musik, die Chadbourne mit Banjo, Gitarre und allerhand Zeug (elektrische Saugglocke, Vögelkäfig, Rechen, Einkaufswagen usf.) in die Welt schickt, immer wieder ziemlich komisch ist. Beide – Chadbourne und der unzerstörbare Hase – verkörpern eine radikale, gleichwohl ohne großes Pathos gelebte Autonomie: Man verneigt sich vor niemandem und macht, was einem in den Sinn kommt. Und das gern in Höchstgeschwindigkeit, die sich im Falle von Chadbourne am Banjo oder der Gitarre artikuliert. Den Schauspieler Boris Karloff verstehen wir in diesem Zusammenhang als Verweis auf seine Rolle als Frankensteins Monster, dem Inbegriff des Outsiders.
Am bekanntesten ist Chadbourne für seine Zerschredderungen von Country- und Popsongs; falls „bekannt“ bei einem Musiker, der nur in seiner eigenen blühenden Nische unterwegs ist, überhaupt passt. Man neigt dazu, die Songs, die zugleich auf Virtuosität und Kifferhumor zu basieren scheinen, für die Ergebnisse von irgendwie postmodern anmutenden dekonstruktivistischen Anstrengungen zu halten. Dann stünde Eugene Chadbourne in diesem Sinne in einer Reihe mit Johns Zorns Naked City oder Christian Marclay, bloß eben am Banjo – „Anything goes“, und zwar weil die jeweiligen Musiker an ihren Instrumenten alles, was überhaupt mit ihnen möglich ist, auch zustande bringen.
Dabei ist das bislang entstandene Werk Chadbournes schon jetzt unerschöpflich in seiner Vielfalt. Die Kollaborationen mit den Violent Femmes, Camper Van Beethoven und John Zorn erschließen sich unmittelbar. Spröder und vor allem live so idiosynkratisch wie bezaubernd sind die Kollaborationen mit Improv-MusikerInnen wie Paul Lovens oder Han Bennink. Eine Platte wie das mit Polly Bradfield eingespielte Album „Torture Time“ – zwei maximal sperrige Stücke, die sich über weite Strecken aus Schaben und Kratzen zusammensetzen –, werden weltweit vielleicht 20 Menschen konzentriert bis zum Ende gehört haben, und ich gehöre nicht dazu. Es erfüllt mich gleichwohl mit tiefer Freude und auch Genugtuung, dass es diese Platte gibt.
Eugene Chadbourne spielt am 1. 9. um 20 Uhr in der Schule 21
Auf Chadbournes Album „Songs“ mit Titeln wie Phil Ochs’„Knock on the Door“ oder Willie Nelsons „What Can You Do To Me Now“ wird klar, dass er sich mit den Traditionen, auf die er sich bezieht (vor allem Country, Pop, Punk und improvisierte Musik), nicht einfach einen Spaß macht. Und dekonstruiert wird auch nichts. Es geht nicht um Zerlegung, es geht um um Fortschreibung von Tradition, gefiltert durch radikale Subjektivität. Diese Musik macht spürbar, wie man sich Musikgeschichte aneignen und sie transformieren kann, ohne sie zu destruieren oder sich ihr zu unterwerfen, sondern in Freiheit.
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