„Bei uns singt die Hexe ein Mann“

■ „Hänsel und Gretel “-Regisseur Chris Alexander über böse Mütter und das Phantom Oper

Der Regisseur Chris Alexander will mit Humperdincks „Hänsel und Gretel“ eine spannende Geschichte für jung und alt erzählen.

taz: Ein berühmtes Märchen, eine berühmten Oper: welchen Zugang haben Sie zu dem Stück?

Chris Alexander: Als ich sechs war, habe ich das in Amerika gesehen. Ich erinnere mich noch genau an die Hexe, an ihre langen Fingernägel. Und dann, daß die Kinder so schlau waren, die legen ja die Kiesel und die Brotkrumen aus. Dann war vierzig Jahre lang nicht und jetzt erhielt ich die Einladung zur Inszenierung.

Es gibt ja nun die volkskundliche, die sozialkritische, die psychologische Märchendeutung. Wo siedeln Sie sich denn an und welche Rolle spielt dabei die Musik von Engelbert Humperdinck?

Ich folge der Interpretation des Psychoanalytikers Bruno Bettelheim, der sagte, die Hexe sei für die Kinder eine Projektion der Mutter. Es geht um die Emanzipation der Kinder, um ihre Los-Lösung, um ihr Ich-Werden.

Ist es denn in Ihrer Erzählweise eher eine Geschichte für Erwachsene?

Nein. Ich folge dem Volkstheateransatz, der alles offenlegt.

Die Hexe: eine Geschichte von 600 Jahren Frauenvernichtung lastet auf dieser Figur. Wie lösen Sie das?

Sicher lebt sie im Wald, weil sie offensichtlich ein Wissen hat, das sie ausschließt aus der Dorfgemeinschaft. Aber sie ist für die Kinder ein Monster – böse und kläglich, schwerhörig und fast blind und dadurch auch clownesk – , das es zu knacken gilt. Das stelle ich dar. Bei uns singt die Hexe ein Mann.

Noch einmal die Musik. Was macht die Musik mit dem Text?

Sie gibt Impulse für szenische Zeichen. Ansonsten illustriert diese Musik, sie unterstreicht und malt.

Ihre Eltern sind beide Opernsänger. Sie selbst sind als Schauspieler ausgebildet und kommen nun von der Schauspielregie seit einigen Jahren zur Oper. Was unterscheidet die Opernregie von der Theaterregie?

Mit der Komposition ist ein Rhythmus, eine dramaturgischer Rhythmus, ein dramatischer Bogen vorgegeben. Das ist mir also sozusagen abgenommen und ich kann mich dann in diesem vorgegbenen Rahmen bewegen. Das ist eine ganz andere, überhaupt nicht vergleichbare Herausforderung. Mein Interesse ist, für die Komponisten dienlich zu inszenieren. Für mich persönlich ist die Auseinandersetzung mit dem Chor auch unglaublich aufregend, eine Masse auf der Bühne zu gestalten, das gibt es ja im Schauspiel nicht, sieht man einmal von den antiken Tragödien ab. Ja, und dann noch die Herausforderung, über große Räume, auch Bilder, Tableaus, eine Spannung aufzubauen: der Nilakt von Aida zum Beispiel. Da kommt man mit einer gradlinigen Erzählweise nicht mehr hin, da muß man einen ganz großen Raum gestalten.

Welche musikalischen Kenntnisse sind denn Ihrer Meinung nach für einen Opernregisseur erforderlich?

Man muß eine Partitur wirklich lesen können. Wenn man das nicht kann, muß man sich Hilfe holen. Ob eine Oboenstimme zum Beispiel etwas anderes sagt als der Text. Man muß immer und im Detail eine Situation erfüllen, die der Komponist gewollt hat.

Was sagen Sie denn dann zu den Arbeiten eines Herbert Wernicke, der häufig die Rezeptionsgeschichte in die Inszenierung einfließen läßt?

Das kann er machen, weil er offenlegt, was er tut. Das ist ideenreich und seriös. Auch so extreme Arbeiten wie die von Hans Neuenfels.....

...der meist mit einem psycholanalytischen Ansatz arbeitet....

Ja. Auch das ist in Ordnung, weil Neuenfels die Linien der Musik weiterzieht und so mit den unbewußten psychoanalytischen „Kenntnissen“ jedes großen Künstlers arbeitet.

Zurück zu Hänsel und Gretel: Welche Rolle spielt das Bühnenbild?

Das ist natürlich überhaupt nicht beliebig. Ich will eine spannende Geschichte anbieten, die für Kinder u n d Erwachsene die Fantasie anregt. Das war die Grundbedingung. Zum Beispiel verwandelt sich unser Wald, der damit einen Charakter hat, von einem lichten, schönen in einen sehr finsteren, sehr bedrohlichen, dunklen: das ist die Wahrnehmung der Kinder. Übrigens nochmal zur Musik: wir achten auf Verständlichkeit, das ist sehr schwer bei dem dicken Orchestersatz.

Wie ist es, als Schauspieler und Schauspielregisseur mit SängerInnen zu arbeiten, bei denen dieses Talent unterbelichtet ist?

Natürlich gibt es da Probleme. Aber man muß einmal sagen, daß ja die Bereitschaft, glaubwürdig und gut Theater zu spielen, sehr große ist. Und damit kann ich arbeiten.

Ute Schalz-Laurenze

Premiere von Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ am 29.10. 1994 19.30 im Theater am Goetheplatz. Die musikalische Leitung hat Fabio Vettraino.