Bei Schlecker, vor Ort: Aus der Schaum
Viele Schlecker-Filialen müssen nächste Woche schließen, der Abverkauf ist in vollem Gange. Freuen kann sich unter den Kunden kaum jemand über die Angebote.
„So ist das Leben. Scheiße, aber so ist es eben“, sagt die Schlecker-Kassierin. An der Kasse hat sich eine lange Schlange bis zum Ende des Ganges gebildet. Eine alte Frau packt gerade die ergatterten Putzmittel auf das Band. Dort sitzt die junge Frau mit den tätowierten Unterarmen und kassiert.
Es müffelt ein wenig. „Aus dem Kühlschrank ist letzte Woche was ausgeronnen“, sagt die andere Schlecker-Frau. Sie schiebt ihn angewidert zur Seite. Die weißen Regale sind auch bei äußerst optimistischer Einstellung halb leer, der graue Fliesenboden ist schmutzig. Nach Putzen ist den Schlecker-Damen nicht mehr zumute. Das kann man ihnen auch nicht verübeln.
Die ältere Mitarbeiterin füllt im ersten Gang „Hohes C“ nach, das Einzige, was das Lager noch hergibt. Dann klingelt das Telefon. Es steckt in ihrem weißen Arbeitskittel. Sie nimmt ab und eilt in den Hinterraum. Sie erkundigt sich, wie es denn jetzt weitergehen soll, aber sie erfährt nichts Neues. „Wie gehabt also“, sagt sie und beendet das Gespräch.
Ein alter Mann mit Stock betritt das Geschäft, er deutet mit seiner Gehhilfe auf den Korb, auf dem „Minus 50 Prozent“ steht, und ruft der Kassierin zu: „Warum warst du nix da! Wollt ich kaufen!“ Sie antwortet, dass sie bei einer Betriebsversammlung gewesen sei, der Laden hat deswegen wohl später geöffnet. Er schimpft noch ein bisschen vor sich hin und geht wieder.
Schüchterne Schnäppchenjäger
Im Laden ist es still. Nur das Piepsen des Scanners an der Kasse und die aufmunternden Worte der Kunden unterbrechen die Ruhe. Das schlechte Gewissen liegt in der Luft, schüchtern streifen die Blicke der Schnäppchenjäger durch die fast leeren Regale. Sie gehen von Gang zu Gang und beraten sich leise. Sie sind hastig, aber zurückhaltend, als würden sie sich ein bisschen schämen.
Besonders viel legt niemand in seinen Einkaufswagen, man will sich ja nicht am Leid anderer laben. Vielleicht haben ihnen ihre Eltern einst beigebracht, dass sich Schadenfreude nicht gehört. Es fühlt sich nicht richtig an, vom Jobverlust anderer zu profitieren. Obwohl das ja lächerlich ist, denn nicht einkaufen würde die Schlecker-Filialen auch nicht mehr retten.
Ein Gedanke: So muss es nach dem Krieg gewesen sein. Im nächsten Moment kommt man sich dumm vor. Deo und Nagellack zu ergattern war wohl eines der kleineren Probleme in der Nachkriegszeit. Aber es ist trotzdem ein unbehaglicher Anblick. In Zeiten, in denen alles immer und im Überfluss zu kriegen ist, fühlen sich leere Regale falsch an.
„Haben Sie’s nicht kleiner?“
Nur Sonnencreme gibt es noch zur Genüge, da ist die Erinnerung an den eiskalten Winter wohl noch zu gegenwärtig. Viel Geld hat die Filiale noch nicht eingenommen, wie ein Blick in die Kasse verrät. Die ältere Mitarbeiterin sitzt vor der schlecht bestückten Geldlade, verschränkt die Arme und sagt: „Ich kann nicht mehr rausgeben, haben Sie’s nicht kleiner?“ Dann sucht sie doch nach Münzen. Die gut gemeinten Fragen der Kunden nach ihrem Befinden nerven sie langsam.
„Gibt‘s noch was?“, schreit ein alter weißhaariger Mann. Er steht in der Tür und will einkaufen. „Die Leute finden doch immer noch was“, sagt die junge Schlecker-Frau halblaut. Ob es auch Rabatt auf Tabak gibt, will er wissen. „Auf alles außer Tabak und DVDs“, antwortet sie. Er erzählt, dass er in einer anderen Filiale auch auf Tabak Prozente bekommen habe. „Da haben wir zugeschlagen!“ Er zieht die Vokale übertrieben in die Länge und wiederholt die ganze Geschichte zur Sicherheit noch einmal. Die Frauen sind genervt.
„Lass dich nochmal drücken!“, sagt eine kleine dicke Kundin zu der älteren Schlecker-Frau. „Aber wir haben doch noch bis Freitag offen!“, antwortet die. Die kleine Frau erkundigt sich nach der Lage. Die Mitarbeiterin fährt sich durch ihre kurzen, roten Haare und seufzt. Dann erzählt sie von der Transfergesellschaft, dass 200 Filialen weniger schließen und wie schwer es für die alleinstehenden Kolleginnen mit Kindern ist. Sie umarmt die kleine dicke Frau.
Dann sagt sie lächelnd: „Ich mach' mir keine Sorgen, das wird schon werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe