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Bei AnrufBeschiss

Enkeltrick war gestern. Mit allen Schikanen verbrecherischer Rachegelüste am Festnetztelefon kommt jetzt der Onkeltrick

Foto: Zeichnung:Ruth Hebler

Von Uli Hannemann

Meine Enkelin ruft auf dem verstaubten Festnetztelefon an. Sie klingt völlig aufgelöst. „Opa“, heult sie in den Hörer. „Du musst mir helfen. Ich bin in Italien und hatte einen Autounfall. Mama und Papa erreiche ich nicht. Ich brauche auf der Stelle 20.000 Euro, sonst sperren die mich für immer ein.“

„Ja, du gute Güte, Kind, das ist ja furchtbar“, sagte ich. „Die Italiener wieder. Die kennen doch kein Maß. Natürlich helfe ich. Aber wie ist denn das passiert?“

So weit ich dem Geschluchze entnehmen kann, hat sie in einer engen Gasse in der Altstadt von Ravioli ein Marktfahrzeug mit Tomatenkisten gerammt. Alles kaputt. Dazu ein toter Esel. Wie der geschrien hat. I-ah, Au-ah. Also erst geschrien und dann tot. Die Leute auch alle zusammengelaufen und geschrien: Mamma mia, mamma mia. Und überall Tomaten. Das wäre schon alleine schlimm genug gewesen, doch dann kamen zwanzig Carabinieri in einem winzigen Fiat, haben sie mitgenommen und in ein dunkles Verlies unterhalb der historischen Stadtmauer geworfen. Bei Wasser und Carbonara.

Nun endlich habe ihr die Polizei Stift und Papier gegeben. Sie wäre jetzt so weit. Schreiben ginge auch mit Handschellen. Ich könne ihr meine Daten für das Onlinebanking diktieren. Den Rest wie Zielkonto, Betrag und Bestimmungszweck mache sie, ich müsse nur noch alles von zu Hause aus freischalten.

Im ersten Moment klingt das alles sehr schlüssig. Und dann auch noch meine Lieblingsenkelin! Immerhin hat sie das gesagt, dann wird es auch so sein. Doch irgendwas ist trotzdem seltsam. Und dann sickert es mehr und mehr in mein Bewusstsein ein: Ich habe gar keine Enkel. Eine plausible Erklärung für diesen Mangelzustand könnte sein, dass ich auch keine Kinder habe.

Ob ich ihr das sagen soll? Man möchte die Leute ja auch nicht entmutigen. Aber irgendwann käme es sowieso raus. Behutsam breite ich meinen Verdacht vor ihr aus.

„Dann bist du gar nicht mein Opa?“ Ihre Enttäuschung ist fast greifbar. „Sorry, ja, blöd“, sage ich. „Was machen wir denn jetzt?“ Wir schweigen beide. Doch ich muss schnellstens aus der Sprachlosigkeit herausfinden. So ein Anruf aus Italien ist bestimmt sehr teuer. Außerdem muss sie ja gleich in ihre Zelle zurück.

„Es tut mir leid“, sage ich. Das tendenziöse Wort „Enkeltrick“, mit dem Kripo und bunte Blätter derzeit inflationär hausieren gehen, verkneife ich mir. Solange ich keine eindeutigen Beweise habe, käme das sonst einer Vorverurteilung gleich. Und das wäre nun wirklich das Letzte, was die junge Frau in ihrer schlimmen Situation gebrauchen kann.

„Versuchen Sie es doch noch mal“, sage ich. „Vielleicht war es ein Zahlendreher und beim nächsten Mal geht dann Ihr richtiger Opa ran. Dafür drücke ich Ihnen recht kräftig beide Daumen. Eventuell kann Sie ja auch das Konsulat unterstützen?“

Am anderen Ende der Leitung herrscht weiter Stille. Oje, da hat wohl jemand die Hoffnung verloren. „Darf ich Ihnen denn trotzdem etwas geben?“, frage ich tröstend. „Damit Sie sich im Knastshop ein Stück Seife oder Gummibärchen kaufen können?“ Ich pule zwei Euro aus meinem Portemonnaie. Doch als ich frage, wie ich ihr die Münze schicken kann, hat sie offenbar schon aufgelegt.

Na gut, wer nicht will, der hat schon. Ich kann mein Geld gern auch Leuten geben, die es dringender brauchen. Zum Beispiel jener älteren Dame, die als Nächstes anruft. „Mein lieber Enkel“, keucht sie. „Deine alte Großmutter am Fernsprechapparat. Ich brauche deine Hilfe.“

Mit ihrem Rollator habe sie im Supermarkt versehentlich eine Pyramide aus Champagnerflaschen umgefahren. Nun hätten die Behörden nicht nur die Gehhilfe als Tatwerkzeug konfisziert, sondern verlangten auch noch 40.000 Euro Schadenersatz. Der Marktleiter, in dessen Kabuff sie sich gerade befinde, sei ein lauter und grobschlächtiger Mensch. Sie habe Angst. Sie beginnt, bitterlich zu weinen. Sie wolle doch nicht ihre letzten Tage im Gefängnis verbringen.

Haha, gute Show, aber nicht mit mir. Dem Omatrick gehe ich nicht noch mal auf den Leim. Früher wurde mir allzu oft die Kohle von betrügerischen Senio­rinnen aus der Tasche gezogen. Mal angebliche Schulden bei einer Bingo-Mafia, dann wiederum hatten sie alles Geld an irgendwelche falschen Enkel verloren, und der richtige sollte es im Anschluss richten.

Er brauche Startkapital, um an einem besseren Ort, wo die Freiheit des Wortes noch zähle, ein neues Leben anzufangen

Aber meine Großmütter sind mittlerweile seit ein paar Jahren tot. Und gemäß meinem favorisierten Konzept vom Leben nach dem Tod gibt es dort weder Champagner noch Supermärkte, Polizei oder Telefon. Sondern gar nichts. Nüscht, null, nada, niente. Also was erzählt die mir da, meine Oma kann sie nicht sein. Triumphal trompete ich mein Herrschaftswissen in die Muschel. Die fiese Alte wird hörbar blass.

Ich habe kaum den Hörer aufgelegt, da ruft bereits der nächste Trickbetrüger an. Das ahne ich schon beim Klingeln. Festnetz kann nur entweder Mutter – die echte, glaube ich zumindest – oder Scam bedeuten. Gerade am Wochenende ist die Hölle los. Ständig wollen Inder meinen Laptop optimieren, mir Bankfuzzis Wertpapiere aufschwatzen oder falsche Kusinen meinen Wagen leihen. So ähnlich muss sich der Silvestertelefondienst in der Notrufzentrale anfühlen.

Der Anrufer ist hörbar betrunken. Aha, auch das kenne ich schon: der Onkeltrick. „Junge, du musst mir unter die Arme greifen“, lallt er. Er habe doch nur vor einer Moschee Naziparolen gegrölt. Die von Anwohnern herbeigerufene Polizei habe sich zwar wie üblich verständnisvoll gezeigt. Dennoch sei für ihn das Maß in der „Schwulenrepublik Wokeland“ nun endgültig voll. Also brauche er Startkapital, um an einem besseren Ort, wo die Freiheit des Wortes und der Gedanken noch zähle, ein neues Leben anzufangen: Türkei, Ungarn, Russland. Auch die USA könne er sich neuerdings gut vorstellen. Mit nur 80.000 Euro sei ich dabei, er danke vielmals, ich solle das Geld einfach in einer Aldi-Tüte vor die Haustür legen.

Dass ist doch die reinste Müllmädchenrechnung, denke ich. Woanders wird er sich auch nicht zurechtfinden. Und dann braucht er Geld, um wieder zurückzukommen – ein Fass ohne Boden. Da wäre das Geld sogar bei meiner falschen Enkelin sinnvoller angelegt. Ich glaube, ich rufe sie noch mal an.

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