: Behörden verschwiegen jahrelang Giftaustritt
■ Dioxinkippe Münchehagen: Wasserbehörden werden heute zur Umweltministerin zitiert
Entsorgung durch Verschweigen - das war offenbar die Taktik der zuständigen Behörden, die jahrelang deutliche Hinweise auf Gif
taustritte aus der stillgelegten Sondermülldeponie Münchehagen (Landkreis Nienburg) verschwiegen haben. So geht es aus
Unterlagen der Wasserbehörden Hildesheim und Sulingen hervor, die gestern bekannt wurden. Danach fanden bereits 1986 Gutach
ter der Universität Ulm in den Kontrollbrunnen der unmittelbaren Deponie-Umgebung die bisher weithin unbekannte Chemiekaliengruppe „Phthalate“, die aus der Kunststoffherstellung stammt.
Obwohl diese Stoffe in Fachkreisen als wichtiger Hinweisgeber auf die Durchlässigkeit von Mülldeponien gelten, hielten die Behörden ihre Erkenntnisse unter Verschluß. Das Wasserwirtschaftsamt Sulingen ist spätestens im Oktober 1987 vom Landesamt für Wasserwirtschaft Hildesheim über die Funde unterrichtet worden. Die Gifte werden bei der Produktion von PVC als Weichmacher gebraucht. Eigene Messungen der Behörden, die bisher nicht veröffentlicht worden sind, ergaben im Herbst 1988 den Unterlagen zufolge einen deutlichen „Konzentrationsanstieg“ der Phthalate in den Kontrollbrunnen.
Am 25. Januar 1989 kommt die Hildesheimer Wasserbehörde in einem internen Schreiben zu dem Schluß, daß die Dioxinkippe Münchehagen wohl undicht sei. Dieses Schreiben erhielten auch andere für die Überwachung und Sicherheit der stillgelegten Giftmülldeponie zuständige Behörden. Aber weder eine offizielle Fachtagung von Giftexperten zur Gefährdung in Münchehagen, noch der öffentliche Münchehagen -Ausschuß, in dem Vertreter von Gemeinden, Kirchen und Bürgerinitiativen sitzen, erfuhren davon. Auch bei weiteren Untersu
chungen zur Vorbereitung eines Sicherungskonzepts wurden die Erkenntnisse nicht verwendet. Phthalate kommen im Gegensatz zu zahlreichen anderen Chemikalien noch nicht allgemein in der Umwelt vor. Dennoch wurde im vorigen Jahr bei der erneuten Überprüfung der Wasser- und Bodenverhältnisse und der Dichtigkeit der Deponie nicht nach Phthalaten gesucht. Dabei hatte das niedersächsische Landesamt für Bodenforschung bereits 1985 in einer Analyse über mögliche Deponiestandorte festgelegt, daß bei geologischen Untersuchungen die Phthalate beachtet werden müßten.
Das Umweltministerium erklärte gestern mittag, der Vorgang werde geprüft. Heute wird die Leitung der Sulinger Wasser -und Abfallbehörde ins Ministerium zitiert, um zu erklären, warum trotz der Giftfunde nichts unternommen wurde.
Die Arbeitsgemeinschaft „Bürger gegen Giftmüll“ forderte von der neuen Umweltministerin Monika Griefahn, sie solle die Versäumnisse ihres CDU-Vorgängers Werner Remmers beheben und „endlich personelle Konsequenzen“ in Münchehagen ziehen. Zum wiederholten Male zeige sich, daß von den seit Jahren in den „Münchehagen-Skandal verstrickten Behörden nicht mit offenen Karten gespielt“ werde, sagte gestern der Sprecher der Initiative, Heinrich Bredemeier.
Andreas Möser
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