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Behandlungsart abhängig von ÄrzteangebotWühlen in der Krankheit

Analyse oder Verhaltenstherapie? Wie viele Sitzungen Patienten bezahlt bekommen, hängt zu oft vom Ärzteangebot vor Ort ab, kritisieren Experten.

Psychothearapie, Analyse oder Medikamente - das kommt hauptsächlich darauf an, wo der Patient wohnt. Bild: dpa

Berlin | taz Die Behandlungsart von Patienten mit psychischen Probleme hängt oft von ihrem Wohnort und dem dortigen Ärzteangebot ab, kritisiert die Techniker Krankenkasse (TK).

"Depressive, die rund um München und am Starnberger See wohnen, machen besonders viele Psychoanalysen", sagte TK-Sprecherin Michaela Hombrecher der taz-Wochenendausgabe sonntaz. Dort gebe es ein Ausbildungsinstitut für diese Therapieform.

Bild: taz

Im Ruhrgebiet dagegen ist man eher praktisch orientiert. In Dortmund etwa ging kein einziger Depressiver zu einer Psychoanalyse. Vielmehr werden dort Medikamente geschluckt und eine Psychotherapie in Anspruch genommen. Bei solchen kognitiven und Verhaltenstherapien werden die Patienten gecoacht, sich ihren Ängsten aktiv zu stellen und kleine Trainingsprogramme für sich zu entwickeln.

In den analytischen Behandlungsformen dagegen versuchen Patienten, ihre Leidensmuster mithilfe des Blicks in die eigenen Vergangenheit zu verstehen und zu verändern. Auch die Zahlungsbereitschaft der Krankenkassen bestimmt oft über die Art der Behandlung. Maximal 80 Stunden kognitive und Verhaltenstherapie, werden bezahlt. Psychoanalysen dürfen dagegen bis zu 100 Sitzungen dauern, in Ausnahmefällen gar 300 Stunden.

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4 Kommentare

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  • SW
    Susanne Walz-Pawlita

    "Hundert Stunden Wühlen in der Kindheit???"

     

    Genauer als früher wissen wir heute, dass alle wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren eine gleich hohe Wirksamkeit haben. Ebenso wissen wir, wie wichtig eine persönliche „Passung“, eine positive Bezogenheit des Therapeuten auf „seine“ Methode und eine sensible Handhabung der therapeutischen Beziehung für das Gelingen einer Behandlung sind (Insgesamt sind ca. 10-15% aller Behandlungen in allen Verfahren ohne Erfolg oder als gescheitert zu bezeichnen. Hoffmann, Rudolf, Strauß (2008): Unerwünschte und schädliche Wirkungen von Psychotherapie, Psychotherapeut 53, 4-16). Erst in neueren Untersuchungen zeigt sich darüber hinaus, dass es Patienten keinesfalls egal ist, mit welchem Psychotherapieverfahren sie behandelt werden, sondern dass es sehr klare Präferenzen und innere Vorstellungen bei Patienten gibt, welche Methode ihnen helfen könnte. Das heißt, die Hilfe suchenden Patienten haben implizit sehr wohl einen Zugang zur Natur ihrer Probleme und zu möglichen Wegen ihrer therapeutischen Bearbeitung.

    Die wachsenden Zahlen psychischer Diagnosen (insbesondere im Bereich der Depressionen, somatoformen Störungen und Angstkrankheiten) sind seit Jahren in den Statistiken aller Krankenkassen belegt. Dennoch sind in den letzten Jahren die dadurch bedingten Arbeitsausfall-Tage in allen Kassenstatistiken wieder zurück gegangen – viele Menschen haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

     

    Umso bedauerlicher ist es, dass im Artikel von Frau Dribbusch eine wenig erfolgreiche psychodynamische Langzeittherapie zum Ausgang genommen wird, um die scheinbare Überlegenheit medikamentöser Therapie oder kognitiver Verhaltenstrainings gegenüber anderen (psychoanalytischen) Therapieverfahren zu behaupten – und damit die ökonomischen Interessen einer Krankenkasse im härter werdenden Verdrängungswettbewerb zu verfolgen.

    Hatte doch die Techniker Krankenkasse im Konkurrenzkampf der Ersatzkassen ihre Versicherten bereits vor vielen Jahren durch eine besonders großzügige Kostenerstattung für psychotherapeutische Leistungen (oft ohne jede Mengen- oder Zeitbegrenzung) gewonnen – nun beklagt sie die Geister, die sie einstmals rief. Im Kunden-Werbefeldzug um die günstigsten Krankenkassenbeiträge werden „mit Entsetzen“ die steigende Verbreitung psychischer Diagnosen und eine daraus resultierende Behandlungsnotwendigkeit festgestellt.

     

    Im oft zitierten Beispiel der Analytikerdichte am Starnberger See (als Pendant zur Verhaltenstherapeutendichte in Bochum) wird diese psychotherapeutische Langzeitbehandlung subtil als Luxusbehandlung saturierter YARVIS-Patienten dargestellt – ganz offen im Widerspruch zur eben veröffentlichten Untersuchung von Prof. Albani und Mitarbeitern aus Leipzig. Diese zeigt, dass Patienten aus allen sozialen Schichten Psychotherapie - und eben auch Psychoanalyse erhalten (Albani et al., Zeitschrift für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, 2009, Thieme Verlag). Bei 60% der befragten 379 Psychotherapie-Patienten lag das Haushaltseinkommen sogar unter 1000 € monatlich. So kommt es, dass mangelnde Recherche einer Autorin sich in einem ökonomisierten Gesundheitswesen aufs Beste mit den Wünschen einer Krankenkasse trifft, ihre Ausgaben für psychisch kranke Versicherte begrenzen zu wollen und die „teuren“ Langzeitbehandlungen assoziativ in die Nähe von wellness-Medizin zu rücken.

    Übrigens: wenn man bei „google“ ‚Starnberger+See+Verhaltenstherapie’ eingibt, kommt man in 0,28 sec auf immerhin 971 Einträge…

     

    Susanne Walz-Pawlita, Psychologische Psychotherapeutin, Gießen

  • A
    anke

    @Dipl.-Psych. Birgit Wiegand:

    "...kritisieren Experten", hatte Barbara Dribbusch geschrieben und sich mit ihrer Aussage auf die Techniker Krankenkasse (TK) bezogen. Die hat, nehme ich an (ein entsprechender Hinweis im taz-Text wäre tatsächlich nett gewesen), eine bundesweite Studie erstellen lassen, sonst könnte sie Aussagen wie "Depressive, die [...] am Starnberger See wohnen, machen besonders viele Psychoanalysen" oder "In Dortmund [...] ging kein einziger Depressiver zu einer Psychoanalyse" gar nicht treffen können. In sofern hat Birgit Wiegand den Sack geschlagen an Stelle des Esels, wenn sie Barbara Dribbusch vorwirft, diese hätte "falsche Inhalte transportiert". Schließlich: Wenn nicht einmal die das Thema aufrufenden Krankenkassen wissen, was genau sie falsch machen, wie soll dann eine Journalistin dem Bedürfnis einzelner Fachleute nach einer ganz speziellen Form der Exaktheit entsprechen? Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, ob Frau Wiegand eine Journalisten-Phobie hat, woher diese kommt oder ob und wie ihr abzuhelfen wäre. Ich möchte nur feststellen, dass mir persönlich mehr gedient gewesen wäre, wenn sie mit ihrem langen Leserbrief (den ich gern als Brief von einem Leser an einen Leser verstehen würde), erklärt hätte, was man ihrer Meinung nach tun kann gegen den Umstand, dass es nach 60 Jahren Grundgesetz in diesem Land offenbar noch immer keinerlei Gleichwertigkeit der Lebens- bzw. Therapie-Verhältnisse gibt für Depressive. Immerhin hat sie ihre fachliche Hilfe ja angeboten, und dass die TherapeutIn-PatientIn-Beziehung für den Erfolg einer nichtmedikamenteusen Therapie entscheidend ist, hab ich mir eigentlich schon selber gedacht.

     

    Übrigens: Arzt (vom griech. Heiler) ist eine Sammelbezeichnung für Leute, die hauptberuflich Leiden vorbeugen, diese mindern oder kurieren und zudem Nachsorge betreiben. Gehören Psychologen nicht dazu?

  • DB
    Dipl.-Psych. Birgit Wiegand

    Bedauerlich, wenn über solch ein wichtiges Thema mit so wenig Hintergrundwissen berichtet und weiterhin schlichtweg falsche Inhalte transportiert werden. Zum Sinn oder Unsinn von Psychoanalysen will ich mich nicht äußern, es gibt aussagekräftige Studien hierzu. Spätestens seit dem Psychotherapieforscher Grawe wissen wir, dass nicht unbedingt die Therapieschule, sondern vielmehr die TherapeutIn-PatientIn-Beziehung ausschlaggebend für den Therapieerfolg ist.

    1. Nicht dass Ärzteangebot ist entscheidend, sondern das Angebot aller Psychotherapeuten, unabhängig ob sie vom Herkunftsberuf her Psychologen oder Ärzte sind.

    2. "In Dortmund werden Medikamente geschluckt und eine Psychotherapie in Anspruch genommen. Bei solchen kognitiven und Verhaltenstherapien werden die Patienten gecoacht, sich ihren Ängsten aktiv zu stellen und kleine Trainingsprogramme für sich zu entwickeln." Das ist zumindest undeutlich. Weder in einer Verhaltens- noch in einer Kognitiven Therapie werden Medikamente genommen, Allenfalls kommen sie parallel in Form einer Pharmakotherapie ergänzend, v.A. in suizidalen Krisensituationen, zu jeder Psychotherapieform in Betracht. Patienten werden auch nicht "gecoacht", sondern therapiert. Ein reines Coaching würde PatientInnen mit einer psychischen Störung mit Krankheitswert nach den Psychotherapierichtlinien nicht genügen und im Übrigen von den Krankenkassen nicht bezahlt.

    3. "Patienten lernen, sich ihren Ängsten zu stellen", wie die Autorin behauptet. In der zuvor benannten Therapie einer Depressionsstörung geht es jedoch nicht darum, zu lernen, sich Ängsten zu stellen, sondern vor dem individuellen lebensgeschichtlichen Hintergrund, angenommenen genetischen, biologischen und sozialen Zusammenhängen und Modelllernen eine auf das jedweilige Individuum zugeschnittene Therapie zu entwickeln. Dabei werden gemeinsam Therapieziele entwickelt.

     

    Die auch in diesem Bericht immer wieder nachzulesende Reduktion der modernen sog. "Kognitiven Verhaltenstherapie" auf ein rein praktisches Vorgehen in der Gegenüberstellung zur Analyse, die vor dem Hintergrund des Einblicks in die eigene Vergangenheit Leidensmuster zu verstehen und somit zu verändern, ist nicht nur falsch, sondern schlichtweg ärgerlich und teilweise sogar arrogant. Denn genau dies tut die Kognitive Verhaltenstherapie: Leidensmuster vor ihrem jeweiligen biografischen Hintergund zu verstehen, um sie dann zu ändern. Und dies sehr erfolgreich.

    Die angesprochene Methode, sich "Ängsten zu stellen", wird, auch immer vor dem Hintergrund biografischer Gegebenheiten, z.B. bei Phobien (Angst vor bestimmten Tieren, Blut, Höhen, geschlossenen Räumen etc.) angewendet.

    Wenn Berichterstattung, dann zumindest richtig, das erwarte ich von der taz. Gerne bin ich bei entsprechenden Artikeln fachlich behilflich.

    Birgit Wiegand

  • F
    FREDERICO

    Im Grunde ein Glück für die Kranken. Habe in Folge eines chronischen Rückenleidens zweimal an Ausbildungsmaßnahmen innerhalb zwei verschiedener beruflicher REHA-Zentren in Süd und Norddeutschland teilgenommen. Da sind locker 50% Rehabilitanden die aus psychisch/neurologischen Problemen heraus eine Maßnahme belegen. Mindestens 90% von denen mit denen ich dort über Sinn und Unsinn von Psychotherapien diskutiert hatte, waren einhellig der Meinung, dass dieses ganze Gelaber ihre Gesamtverfassung eher verschlechtert habe. Es mag ja ein paar wenige Therapeuten geben die genügend Empathie, Herzlichkeit und Menschlichkeit besitzen um wirklich zu helfen, ansonsten ist das ganze doch lediglich eine moderne Form des Ablasshandels.