Bedürftige: Der gute Arzt
Uwe Denker hat in Bad Segeberg eine "Praxis ohne Grenzen" eröffnet - für Menschen, die sich einen Arztbesuch sonst nicht leisten können. Seinen Namen muss keiner angeben, die Praxis ist auch für Illegale offen.
Uwe Denker ist einer, der immer etwas bewegen muss, "etwas aufreißen", wie er sich ausdrückt, und das ist nicht anzüglich gemeint. Was der 71-jährige Mediziner aufreißt, sind Projekte wie die "Praxis ohne Grenzen". Einmal in der Woche, mittwochs, zwei Stunden lang, behandelt Denker dort Bedürftige. Umsonst.
Kommen kann jeder, muss weder seine Armut belegen, noch muss er sich ausweisen oder eine Versicherung haben. Obdachlose, Selbstständige, die aus der Kasse geflogen sind, weil sie ihre Beiträge nicht mehr zahlen können, aber auch Illegale behandelt der Arzt - nach dem Namen wird in der Praxis ohne Grenzen nicht gefragt. "Wir wissen gar nicht, wer da kommt, das ist uns auch egal", sagt Denker.
Die Praxis ohne Grenzen ist auch für Hartz 4-Empfänger, die zwar Geld für medizinische Leistungen bekommen, dafür aber nachträglich einen Antrag stellen müssen, offen. Damit seien viele überfordert, sagt Denker. Das Segeberger Sozialamt habe ihm gesagt, dass etwa 50 Familien im Umkreis medizinisch nicht versorgt seien. Um die will er sich jetzt kümmern.
Vergangene Woche waren zwölf Patienten da, einer kam aus Lübeck, einer sogar aus Hamburg. Schlecht verheilte Wunden, Bauchschmerzen, Grippe - die Beschwerden ziehen sich durch die ganze Bandbreite der Allgemeinmedizin.
Zurzeit ist die Praxis ohne Grenzen ziemlich provisorisch in einem Gebäude der Arbeiterwohlfahrt untergebracht. "Ich muss alles aus der Arzttasche machen", sagt Uwe Denker. Im Frühjahr, wenn der Schnee weg ist, kann das Fundament für seinen Container gegossen werden - dann zieht die Praxis auf das Gelände der Segeberger Tafel, im Gewerbegebiet Efeustraße. Den Praxiscontainer bezahlt die Stadt, die auch für die Miete aufkommt. Alles weitere wird über Spenden finanziert, und davon gibt es genug: Apotheken geben Medikamentenmuster ab, Ärzte ausrangierte Behandlungsgeräte. Zusammengekommen ist eine komplette Praxiseinrichtung - neu hätte die 200.000 Euro gekostet. "Ich bin ganz gerührt, wie hilfsbereit alle sind", sagt Denker.
Zehn ÄrztInnen und acht Arzthelferinnen die abwechselnd mittwochs in der Praxis stehen werden haben sich mittlerweile zusammengefunden. Und jede Woche werden es mehr. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, eine Internistin aus Bad Schwartau ist dabei, ein Laborarzt aus Lübeck, Physiotherapeuten, ein Spezialist für Diabetes.
Den überwiegenden Teil der gesundheitlichen Versorgung Illegaler und Menschen ohne Krankenversicherung in Hamburg übernehmen ehrenamtliche MedizinerInnen und ÄrztInnen.
Mit dem Medibüro ist 1994 die erste bundesweite Vermittlungs- und Beratungsstelle für Flüchtlinge entstanden. Dem Netzwerk gehören 100 Allgemein- und FachärztInnen an.
Die Malteser Migranten Medizin wurde 2008 als allgemeinmedizinische Anlaufstelle eröffnet.
In der Zentralen Beratungsstelle der Gesundheitsbehörde können sich Menschen ohne Papiere anonym und kostenlos auf sexuell übertragbare Krankheiten testen und beraten lassen.
Mit so viel Unterstützung hatte Denker nicht gerechnet. Er klingt wehmütig, wenn er sagt, er wäre jetzt "nur noch alle vier bis fünf Wochen dran". Viele der ehrenamtlichen Unterstützer sind wie Denker im Ruhestand. "Daran sieht man, dass es den Ärzten nicht nur ums Geld geht", sagt Denker. Schon in seiner Zeit als praktizierender Arzt habe er bedürftigen Patienten die Praxisgebühr erlassen oder kostenlose Ärztemuster für Medikamente ausgegeben. Er helfe einfach gerne, dazu sei er ja schließlich Arzt geworden, sagt Denker, und dass das mit seiner "christlich-sozialen Grundeinstellung" zu tun habe.
Auf die Idee, eine Praxis ohne Grenzen aufzumachen, ist der 71-Jährige auch durch seine Frau gekommen, die bei der Segeberger Tafel mitarbeitet. Von den Menschen, die freitags zur Lebensmittelausgabe der Tafel kommen, seien die wenigsten krankenversichert. Die Segeberger Tafel und die Praxis ohne Grenzen arbeiten inzwischen offiziell zusammen, so liegen bei der Tafel etwa Flyer in verschiedenen Sprachen aus, die auf die Praxis hinweisen.
Momentan spricht Denker fast täglich mit Journalisten über sein Projekt. Auch Anne Will habe schon angefragt. Bei der Öffentlichkeitsarbeit berät ihn sein Sohn, der als Journalist bei Bild Online arbeitet. Für die Eröffnung der Praxis hatte Denker alle Medien ausgeladen. Wenn Patienten da sind, ist die Presse unerwünscht.
Die Praxis in Bad Segeberg könnte Schule machen. Denker weiß von mehreren Ärzten aus der Region, die ebenfalls Praxen ohne Grenzen eröffnen wollen. Gerne würde er ihnen Starthilfe geben.
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